Foto: Karrrottte
Seine Großmutter hätte ein Gasthaus im Bregenzerwald und früher außerdem immer für die deutschen Prinzregenten gekocht, erzählt Paul Renner. Er selbst ist Maler, "aber mein Malen ist sehr sinnlich und hat eigentlich immer schon mit Kochen zu tun gehabt". Und während seiner Zeit als Assistent von Hermann Nitsch, durch seine Kontakte mit Oswald Wiener und Peter Kubelka sowie durch sein Haus im Piemont wurde diese Neigung eher noch konkretisiert, abgesehen davon, "dass mir der Untergang der Esskultur stets sehr zu schaffen gemacht hat".

Maler Paul Renner fasste also 1995 - anlässlich seines ersten "Vakanz"-Festivals im Bregenzerwald, das sich mit den Extrempositionen der Architektur beschäftigte - den Entschluss, dass das nächste Festival das Essen zum Thema haben müsse. Hatte es 1998 dann auch, Oswald Wiener, Daniel Spoerri, Franzobel und andere verschmolzen ihre uvres mit jenen von Eckart Witzigmann, Ferran Adrià und Johanna Maier, außerdem veranstalteten die beiden Autoren des "Decadent Cookbook", Medlar Lucan und Durian Gray, eine Performance, und das ergab den nächsten Schritt: Mit den beiden Briten gründete Renner 2000 in Anlehnung an den Hell Fire Club von Sir Francis Dashwood aus dem 17. Jahrhundert den "Hell Fire Touring Club" mit dem Ziel, Orte wahrhaftiger Dekadenz aufzuspüren, zu besuchen und zu dokumentieren.

Das aktuelle Projekt dieses HFTC sind zwei Wochen der detailgenau behandelten Dekadenz in der Wiener Kunsthalle namens "The Hell Fire Dining Club", eine Kombination aus Vorträgen zu Themen wie "Ausweiden und Einbalsamieren", "Martyrium als Exzess", Dandyismus oder Alchemie, entsprechenden Gerichten und nicht zuletzt Bibliothek und Schauraum mit entsprechender Literatur und Schaustücken. Bei den Gerichten geht man einigermaßen an die Grenze, am Abend mit dem Thema "Schizo Gourmet" werden zum Beispiel nur kranke Tiere verzehrt, etwa Schweine mit Schweinepest (für Menschen ungefährlich), oder Huchen, die laut Paul Renner in Gefangenschaft automatisch krank werden; am Programm des "Wiener Aktionismus"-Abends gibt's dann Lipizzanerhoden (Renner: "Da hab ich mir gedacht, das passt zu Wien"), große Fische, Blut und Sperma, Günther Brus wird an diesem Abend zur Abwechslung die österreichische Fahne einmal essen; unter dem Titel "Corruption of the flesh" nimmt man zu Originalaufnahmen von Lenins Balsamierung und Begräbnis Käse aus dem Aostatal, hundertjähriges Brot, Fischgräten, Schnepfendreck, eine eigens mit Essigbrauer Erwin Gegenbauer entwickelte Schimmelsuppe und weiteres "rotten food" zu sich.

Auf die Frage, was nicht realisiert wurde, erklärt Paul Renner, dass man den Verzehr von Menschenfleisch zwar klarerweise lange erörtert und diskutiert hätte, sich aber dagegen entschieden hätte, "da Mord mit Dekadenz nichts zu tun hat" und man außerdem nicht danach trachtete, zu spektakulär zu werden. Gegen den Verzehr von Hunden indes hätte eigentlich nichts gesprochen, "wir haben aber kein ordentliches Rezept gehabt".

Eine Bar, deren Wandgestaltung auf die Kapuziner-Katakomben in Palermo zurückgeht, die Theke dem Seziertisch des Teatro Anatomico in Padua nachempfunden wurde, gewährt übrigens Einblicke ins Restaurant (das nur einen Tisch mit 32 Sitzplätzen hat, und die waren Ende Dezember schon zu 80 Prozent ausreserviert), nachmittags werden auch Führungen angeboten. Die "unproblematischen" Bestandteile der Menüs mit den "delikateren" zu vermischen oder sie separat zu servieren und es somit dem Publikum zu überlassen, ob es sich traut oder nicht, will Paul Renner übrigens den jeweiligen Köchen des Abends überlassen. (Florian Holzer/Der Standard/rondo/9/1/2004)