Kurz vor Weihnachten hat das Wirtschaftsforschungsinstitut das österreichische Steuersystem analysiert und seine Vorschläge zur Steuerreform öffentlich präsentiert.

Mit entwaffnender Ehrlichkeit hat die Autorin der Studie in der Pressekonferenz zugegeben, dass sie über die Steuerbelastung der österreichischen Unternehmen keine verlässlichen Aussagen treffen könne; dennoch kommt die Studie (nachzulesen in den Monatsberichten 12/2003) zum scheinbar eindeutigen und durch viele Statistiken untermauerten Ergebnis, dass die Unternehmenssteuerlast in Österreich im internationalen Vergleich unter dem Durchschnitt liege und eher niedrig wäre.

Sinnlose Vergleiche

Globale Steuerbelastungsvergleiche anhand makroökonomischer Daten sind als Grundlage für die Reform der Unternehmensbesteuerung genauso ungeeignet wie ein Ranking von Staaten im mikroökonomischen Belastungsvergleich, bei dem eine Reihe von Prozentsätzen, die für völlig andere Zwecke erhoben wurden, gemischt und einer Durchschnittsbildung unterzogen werden.

Es ist - gelinde gesagt - wissenschaftlich nicht fundiert, dass der Durchschnitt unbrauchbarer Zahlen zu einem brauchbareren Ergebnis als die einzelnen unbrauchbaren Zahlen führt!

Dabei ist die Sache doch ganz einfach: Die Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften mit Körperschaftsteuer beträgt 34 % (ohne die 25 % Kapitalertragsteuer von den Dividenden) und die Einkommensteuer bis zu 50 % des steuerpflichtigen Einkommens.

Dass die effektive Steuerbelastung, gemessen woran auch immer, erheblich darüber oder darunter liegen kann, weiß auch jeder Student und erst recht jeder Unternehmer. Denn die Steuerbelastung hängt von vielen Faktoren, wie zum Beispiel von den Investitionen, der Finanzierung, dem Ausschüttungsverhalten, den Doppelbesteuerungsabkommen etc., ab.

Globaler Belastungsvergleich

Es ist daher nur folgerichtig, dass jeder globale Belastungsvergleich quer über alle Branchen und Rechtsformen sowie Staaten nur zu Ergebnissen führen kann, die für die Steuerpolitik als Entscheidungsgrundlage völlig unbrauchbar sind.

Das Wifo schafft es dennoch, anhand unbrauchbarer Daten und Schlussfolgerungen zu klaren Empfehlungen zu kommen. Diese sehen freilich ganz anders aus, als man dies aufgrund des Datenbefundes erwarten würde. Das Wifo plädiert nämlich für eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes - und schließt sich damit ohne wissenschaftlich fundierte Begründung dem allgemeinen Meinungstrend an.

Gleiches gilt für die Empfehlung zum Ausbau von Steueranreizen wie für Weiterbildung, Forschung, Entwicklung sowie Lehrlingsausbildung: Die Forderung nach der Subventionierung von Weiterbildung, Forschung etc. durch Steuern ist zweifellos populär, auch wenn die praktischen Erfahrungen negative Auswirkungen zeigen.

Gießkanne trifft nicht

Denn die Gießkanne trifft zumeist daneben. Auch gehen andere Länder von solchen Steuersubventionen schon wieder ab, aufgrund der Erkenntnis, dass Begünstigungen Einzelner einer Diskriminierung aller Nichtprivilegierten gleichkommen. Sie sollten daher für hoch entwickelte Marktwirtschaften wegen der Wettbewerbsverzerrungen und mangels ausreichender allokativer Effekte abgelehnt werden. Damit setzt sich die Wifo-Studie freilich nicht auseinander.

Einem anderen Modernismus ist das Wifo ohne ökonomische Begründung ebenfalls erlegen: dem Ruf nach Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durch Anpassung der Gewinnermittlung an die "internationalen Standards", nämlich an die Bilanzierung nach International Reporting Standards. Ich nehme nicht an, dass das Wifo wusste, in welches Wespennest es hier gestochen hat. Denn die Frage der Reform der Gewinnermittlungstechnik ist höchst umstritten.

Jedenfalls fehlt es für den Vorschlag an jeglicher fundierter Untersuchung und Begründung durch das Wifo. Gefühl und kolportierte Meinungen ohne Begründung zum Dogma zu erheben gelingt aber anderen auch! Dafür hätte man weder das Wifo noch dessen "wissenschaftliche" Studie gebraucht.

Besonders ärgerlich ist aber noch etwas anderes. Studien wie diese schüren das Vorurteile, dass die Ökonomie zur praktischen Steuerreform nichts beitragen könne; das aber entbehrt jeder Grundlage. Es gibt in Österreich, im benachbarten Ausland und in internationalen Fachzeitschriften zahlreiche Studien angesehener Volks- und Betriebswirte, die sich mit allen vom Wifo angeschnittenen Fragen in überaus brauchbarer Weise auseinander setzen. Die Frage ist nur, warum sich deren Autoren zur Steuerreform in Österreich kaum zu Wort melden?

Wechselseitiger Frust

Ich glaube, dass sich das aus einem gewissen Frust erklären lässt: Die Steuerreformen 1988 und 1993, die auf intensiven Vorbereitungen der seinerzeitigen Steuerreformkommissionen aufbauen konnten, waren ein Erfolg für Österreich, der auch im Ausland große Anerkennung erfuhr und dort Vorbild für eigene Reformmaßnahmen wurde.

Die Konzepte waren großzügig angelegt und auf Weiterentwicklung ausgerichtet - wurden dann aber vom Strukturanpassungsgesetz 1996 und der "Steuerreform 2000" unterlaufen: Beide setzten sich über alle Empfehlungen der Wissenschaft und Praxis hinweg, sicherten unsystematische neue Steuerpflichten durch Verfassungsmehrheit der großen Koalition ab und gewährten Steuerprivilegien nach Gießkanne und Intensität des Lobbying.

Kein Wunder, dass die Wissenschaft mit einer solchen Steuerpolitik nichts zu tun haben will. Denn ihr geht es um ein methodisch gesichertes Vorgehen anhand langfristiger Steuerentwicklungspläne und nicht um opportunistische Eingriffe in ein schwindendes System. Ein Zickzackkurs der Steuerpolitik stößt Steuerpflichtige und Wissenschaft vor den Kopf.

Der Frust der Steuerpolitik über die Steuerwissenschaften scheint aber auch begründet. Denn diese melden sich regelmäßig erst nach Kundmachung von Steuerreformgesetzen mit Kritik zu Wort. Daran ist aber nicht nur schuld, dass die Kritik im Nachhinein leichter fällt als im Vorhinein, sondern auch der verständliche Wunsch, den Gegenstand der Kritik - in Form von Konzepten und Gesetzesentwürfen - zu kennen, bevor man sich dazu äußert.

Steuerreformgesetze zu Sommerbeginn

Nun ist es aber allgemeiner Brauch, Steuerreformgesetze zu Sommerbeginn in die Begutachtung zu versenden, wenn Legisten und Experten parallel oder überlappend im Urlaub weilen, was eine qualitätsvolle Meinungsäußerung ausschließt oder sehr erschwert.

Wenn sich dennoch Wissenschafter zur Mitarbeit in Reformarbeitsgruppen bereit finden, sind sie in der Öffentlichkeit mit neidvollen Verdächtigungen der (indirekten) Vorteilserlangung konfrontiert. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass von ihnen unentgeltliche Mitarbeit verlangt, aber von niemandem wirklich geglaubt wird.

Dass sich die Universitäten unentgeltliche Dienstleistungen in Zeiten zunehmender Ökonomisierung und eigener Budgetverantwortung nicht mehr leisten können, dürfte vielen, die an der Universitätsreform maßgebend über die Budgetgestaltung mitverantwortlich sind, völlig entgangen sein.

Kein Wunder also, wenn einander österreichische Steuerwissenschafter gutachtend und beratend von Deutschland bis Rumänien und von Estland bis Zypern die Klinken zu Ministertüren in die Hand geben und dort für ihre Reformarbeiten höchste Anerkennung finden, die Mitwirkung an österreichischen Steuerreformen hingegen für wenig attraktiv halten ... (DER STANDARD Printausgabe, 07.01.2004)