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Die Nachfahren eines jüdischen Cafetiers, der von den Nazis zuerst um sein Kaffeehaus und dann um sein Leben gebracht wurde, haben mir ein paar Dokumente übergeben. Ich habe sie im Nachrichtenmagazin NU und in der Wiener Stadtzeitung Falter veröffentlicht. Die Reaktionen waren so, wie sie in Österreich zu erwarten waren: Das Unrecht interessiert niemanden, es wird geleugnet.

Matthias Sindelar, ein österreichischer Fußballstar, hatte am Ende seiner Sportlerkarriere 1938 das Kaffeehaus von Leopold Simon Drill weit unter dem echten Wert erworben. Darüber liegt ein schriftliches Schätzgutachten vor. Der Kaffeehausbesitzer wurde von den Nazis unter Druck gesetzt zu verkaufen - das beweist ein Bericht des kommissarischen Verwalters des Lokals. Und schließlich hat die NSDAP ein Schreiben an die Arisierungsstelle gerichtet, in dem der Kauf des Kaffeehauses durch den "Parteigenossen" Sindelar befürwortet wird. Alles Fakten, alles im Staatsarchiv zu beheben, kein Trick, kein doppelter Boden - echte Dokumente zum Anfassen und Nachlesen.

Mein Vater, der - ein Kind noch - aus Österreich vertrieben wurde, kam im Jahr 1946 als englischer Soldat zurück. Die Wohnung seiner Familie war "arisiert" worden, ebenfalls von einem Spieler des "Fußball-Wunderteams", von Karl Rainer. Mein Großvater hatte unter unvorstellbaren Demütigungen die Naziherrschaft in Wien überlebt. Er wollte nicht, dass sein Sohn, der englische Soldat, die geraubte Wohnung wieder für die Familie in Besitz nahm. Großvater war mutlos, völlig gebrochen von den Herrenmenschen. Mein Vater schaute sich die Wohnung seiner Kindheit nur noch einmal an, begleitet vom "Ariseur" Rainer, der ihm wortreich versicherte, niemals ein Nazi gewesen zu sein.

"Ich habe mich dann auf die Suche nach Nazis gemacht", erzählt mein Vater, "aber ich habe in Wien keinen einzigen gefunden." Genau so ist es bis heute geblieben. Wer das Kaffeehaus eines Juden zu einem Schandpreis gekauft hat, wer davon profitierte, dass der Besitzer zum Verkauf gezwungen wurde, wer von der Nazi-Partei als Mitglied bezeichnet wurde, geht in Österreich immer noch als antifaschistischer Held durch.

Wenn in Deutschland ein Name in den Stasi-Akten auftaucht, ist der Fall klar. Niemand glaubt dem Informanten, wenn er nicht unwiderlegbare Gegenbeweise vorlegen kann, dass er unschuldig zu dieser Eintragung gekommen ist. Umgekehrt gilt in Österreich scheinbar die Vermutung, die Nazis hätten Menschen nur aus Bosheit in ihre Mitgliedslisten eingetragen. In Wirklichkeit hat es daher - siehe oben - nicht einen einzigen Parteigänger der Nationalsozialisten gegeben. Alles gefälscht, alles nicht wahr.

Wer Antifaschist ist . . . Ich habe die Fakten auf den Tisch gelegt. Am nettesten waren noch jene Reaktionen, die sich der schönen Fantasie hingaben, Sindelar hätte Leopold Drill das Kaffeehaus nur abgekauft, um es ihm nach dem Krieg wieder zurückzugeben. Warum sich Drill dann aber vorerst geweigert hatte, das Kaffeehaus zu verkaufen, und abwartete, bis sein Sohn und andere jüdische Gäste im Lokal verhaftet und ins Konzentrationslager abtransportiert wurden, können mir die Gutgläubigen nicht erklären.

Andere - darunter ein Schriftsteller namens Wilhelm Pellert (STANDARD, 22. 12. 2003) - behaupten einfach, ich hätte die Dokumente erfunden. Der ehemalige Austria-Sekretär wiederum hat die nette Mama von Sindelar gekannt und ihr nach dem Krieg Geld geschenkt, und "lasst sich daher den Sindelar nicht ins rechte Eck stellen".

Bei den Medien melden sich selbst ernannte Experten. Einer ist Pensionist, leitet ein Wiener Bezirksmuseum, hat auch sämtliche Dokumente in einer Ausstellung gezeigt, mag aber dennoch nichts Negatives über Sindelar denken.

. . . bestimmen wir Der andere hat sich mit der Geschichte des Wiener Fußballs, nicht aber mit der der Nazizeit befasst und wägt Pro und Kontra so kompliziert ab, dass nichts Substanzielles mehr übrig bleibt, geschweige denn, dass jemand sich auskennt. Kein Historiker, der sich auf das Thema "Arisierungen" spezialisiert hat, nutzt die Chance und leistet einen Beitrag. Vermutlich liest man im Elfenbeinturm des Aktenstudiums keine Sportseiten. Viel lässt sich nicht bewegen in diesem Land, das niemals Nazis kannte. Es haben zwar im Besonderen DER STANDARD, aber auch Kurier und profil das Thema aufgegriffen, doch die Reaktionen darauf waren ernüchternd.

Niemand spricht vom Cafetier Leopold Drill. Niemand spricht vom Unrecht, das die Nazis an ihm verübt haben. Niemand will die Tragweite der Dokumente wahrhaben, die zeigen, dass Sindelar sich einer Kollaboration mit den Nazis zumindest nicht verweigert hat. Kaum einer wollte die Chance aufgreifen, anhand der Geschichte eines populären Fußballers die Vergangenheit zu bearbeiten und jungen Menschen zu zeigen, wie totalitäre Regime die Verhältnisse und mit ihnen auch das Leben aller Menschen verändern. Die Wahrnehmung ist ein Spiegelbild des Bewusstseins. Wir Österreicher wählen den Antifaschisten, den wir wollen. (DER STANDARD Printausgabe 03./04.01 2004)