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Ein (nächtlicher) Brüller und die Besucher des Tiergartens sind hellwach.

Foto: REUTERS/Achim Bieniek
Wien - Die Katze blieb gelassen. Aber vielleicht lag das ja auch daran, dass sie den Löwen nicht in Grün brüllen sah, sondern in Echtnachtfarben. Also einfach so, wie eine Hauskatze einen Löwen im Dunkeln sieht.

Und während das kleine Rudel Menschen, das mit jeweils einem zugekniffenen und einem weit aufgerissenen, hinter einem halben Fernglas versteckten Auge vor dem Löwenkäfig stand, einen Satz zurück machte, putzte die Katze cool ihr Fell: Den Löwen hatte sie wohl schon öfters brüllen gehört. Auch in der Nacht. Und wenn die Menschen mit ihren Nachtsichtgeräten so nahe am Käfig stehen mussten, dass sie das Grollen seines Gebrülls körperlich spüren konnten, war das nicht ihr Problem.

Die Katze, schmunzelt Elke Schmelzer, gehört mittlerweile dazu. Und manchmal, so die Zoopädagogin ("Nein, wir bringen hier nicht den Tieren Posieren bei, sondern bieten Führungen an.") käme es sogar vor, dass sie, die Katze, mehr Beachtung fände als manche Tiere. Die lebt im Tiergarten. Freiwillig. Und immer wenn eine Nachtführung beim Ameisenbären ankommt, taucht auch die Katze auf - und begleitet die Gruppe bis zum Ende der Tour.

Die Schönbrunner Hauskatze ist da privilegiert: Die seit vier Jahren angebotenen Abendführungen durch den Zoo sind nämlich ein Renner. Im Sommer muss man bis zu zwei Monate warten, um Platz in einer der maximal 20-köpfigen Gruppen zu finden, die ab Einbruch der Dunkelheit für 15 Euro zwischen nachtschlafenden und nachtaktiven Tieren herumspazieren dürfen. Im Winter ist die Wartezeit weniger lang - und für Kinder (ab zehn Jahren) sind die eineinhalbstündigen Touren, die dann nicht erst um 22, sondern gegen 19 Uhr beginnen, weniger anstrengend.

Gezeigt, betonen Elke Schmeiser und Nachttierpfleger Alfred Maier ("Ich passe weniger auf die Tiere als auf die Menschen auf - manche gehen nämlich allzu leicht verloren."), werde stets ein ähnliches Programm: von schlafenden Vögeln über den neugierig den Besuchern entgegentrottenden Ameisenbär bis zu Nilpferden, Robben, Großkatzen und den Wölfen, die die Kirchenglocken am Hietzinger Platz für ein rivalisierendes Rudel halten.

Neues Zooerlebnis

Garantie auf "Action" gibt es aber keine. Doch allein die durch die Dunkelheit intensiver wirkenden Gerüche und Geräusche vermitteln ein ganz anderes Zooerlebnis. Das Fehlen des Tagestrubels lässt die Tiere entspannter wirken - und durch das Nachtsichtgerät zuzusehen, wie ein stehend schlafender Pinguin das Gleichgewicht verliert, auf den Bauch plumpst und dann verdutzt um sich schaut, mag boshaft wirken, ist aber ziemlich unterhaltsam.

Und lehrreich: Schließlich sieht man bei Tag die im Nilpferdhaus lebenden Flughunde nicht - in der Nacht schwirren sie munter und immer haarscharf an der Kollision vorbei umher. Auch dass Elefanten mit nur zwei Stunden Schlaf auskommen und Menschenaffen nachtblind sind, dürfte weniger bekannt sein. Außerdem: Wer hat schon je Robben schnarchen gehört?

Der Fantasie bleibt trotz der hochauflösenden Nachtsichtgeräte viel Spielraum: "Ich sehe Wölfe,", freut sich ein Knabe im Harry-Potter-Alter: "Dort. Im Wald. Beim Baum." Elke Schmelzer lächelt: Die Wölfe liegen - ruhig schlafend - auf der anderen Seite des Geheges. Der Bub ist trotzdem begeistert: Die Tiergartenkatze schnurrt - und lässt sich, während er sie durch das Nachtsichtgerät betrachtet, sogar streicheln. (Thomas Rottenberg/DER STANDARD, Printausgabe, 3./4.1.2004)