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100 Kirchen in Deutschland sollen wegen Finanzsorgen der Diözesen verkauft werden

APA/dpa/Wolf
"Du, sollen wir die Kirche kaufen?", fragte Helmut Kißner seine Frau Hannelore. Sie sagte Ja. Das war im Jahr 1995. Umgerechnet 250.000 Euro haben die beiden Berliner für die Kirche St. Marien im Bezirk Spandau bezahlt. Der Verwaltungsbeamte beim Finanzamt und die Angestellte der evangelischen Kirche gaben dafür ihre Ersparnisse.

Investiert haben sie aber viel mehr. Sie ließen den Innenraum des Backsteinbaus aus dem Jahr 1848 nach alten Fotografien und Vorlagen aus historischen Bauakten renovieren. Am 7. Dezember wurden der Altar und die Orgel geweiht. Jetzt werden in der zweitältesten Kirche Berlins wieder Gottesdienste gefeiert. Mäzene wie die Kißners dürfte die katholische Kirche Deutschlands selten finden.

148 Millionen Schulden

Berlin hat beim Verkauf von Gotteshäusern eine Vorreiterrolle. Wegen akuter Finanznot veräußerte die Diözese einzelne Kirchen. Im Frühjahr gestand der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky Schulden in Höhe von 148 Millionen Euro ein und bat um Verzeihung.

Aber auch andere Diözesen planen Finanzsorgen. Jetzt sollen gleich hundert Kirchen im ganzen Land veräußert werden. Die Bischofskonferenz hat für die "Umnutzung" der Gotteshäuser, wie sie es in bestem Deutsch nennt, einen Leitfaden entwickelt. Denn die Umnutzung sei einem Abriss vorzuziehen.

Oberstes Gebot einer solchen Umnutzung: Aus den Kirchen dürfen keine Moscheen oder Gotteshäuser anderer nicht christlicher Religionen werden. "Die kultische Nutzung durch nicht christliche Religionsgemeinschaften (zum Beispiel Islam, Buddhismus, Sekten) ist nicht möglich", heißt es im Leitfaden.

Aber auch Popmusik und Lichtorgeln unter dem Kirchturm soll es nicht geben. "Ich kann mir schlecht vorstellen, dass daraus eine Disco gemacht wird", sagte der Kölner Kardinal Joachim Meisner. Als denkbare "Umnutzungen" nannte er Museen, Konzerthallen oder auch "ein ehrbares Gasthaus". Was der als sehr konservativ bekannte Geistliche sich darunter vorstellt, ließ er allerdings offen.

Immerhin ist eines klar geregelt: Aus einem Beichtstuhl dürfe keine Bar, aus einem Kelch kein Partybecher werden. Durch Grundbucheintragungen soll sichergestellt werden, dass auch bei einem späteren Weiterverkauf die neuen Eigentümer nicht machen können, was sie wollen.

Der Ausverkauf ist für die Hirten aber nur die Ultima Ratio: Dem Verkauf vorzuziehen sei die "Nutzungsverdichtung". Das damit gemeint ist? In Düsseldorf wurden Teile einer zu groß gewordenen Kirche als Pfarrsaal und Jugendraum genutzt. Die Gemeinde kann sich so weiter am Altar versammeln, auch wenn der Kirchenraum kleiner geworden ist. Dadurch werden andere Gebäude, die der Kirche gehören, frei und können verkauft oder vermietet werden. (Alexandra Föderl-Schmid aus Berlin, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.1.2004)