Wenn alle Jahre wieder die Lichterketten leuchten und der Weihnachtspunsch glüht, dann haben auch die Terrorbekämpfer in aller Welt Hochsaison. In dieser symbolisch bedeutenden Saison, so die prinzipiell richtige Überlegung, würde die Wirkung eines Terroranschlags allein kraft der zeitlichen Situierung noch vervielfacht. Dass sich die Attentäter des 11. 9. 2001 dazu entschlossen haben, an einem ganz trivialen Dienstag im ganz banalen Frühherbst in die WTC-Türme zu rasen, könnte in einer perversen terroristischen Denkart geradezu als vergebene Chance gelten.

Am Sonntag, vier Tage vor Weihnachten, hat auf jeden Fall US-Sicherheitsminister Tom Ridge den Bedrohungsgrad der Nation auf der einschlägigen Farbskala von gelb auf orange hochgeschraubt und so die Amerikaner auf die Möglichkeit unangenehmer Festtagsüberraschungen eingestimmt. Flaumig-schaumige Formulierungen wie die, dass die "Terrorgefahr vielleicht größer ist als zu irgendeinem Zeitpunkt seit 9/11" (Ridge) zeigen das Dilemma der US- Obrigkeit auf, wenn es gilt, zwischen Realismus und Alarmismus hindurchzusteuern. Allenfalls kann sie den Bürger wieder darauf hinweisen, dass er die Präsenz des Terrors als ständiges gesellschaftliches Hintergrundphänomen nicht vergessen sollte. Welche konkreten Vorkehrungen er zu treffen hätte, um dieser Gefahr zu begegnen, das freilich bleibt rätselhaft und jedem Einzelnen überlassen.

Wie steht es nun mit dem Kampf gegen den Terror gegen Ende dieses Jahres, das bisher keine Mega-Anschläge vom Typus 9/11 gekannt hat, aber dennoch von einer blutigen Spur durchzogen war, die von Casablanca bis Istanbul, von Jerusalem bis Jakarta reichte? Ehe man Kritik an den Abwegigkeiten der Terrorbekämpfung übt, muss betont werden, dass der Terror zunächst einmal ein reales Phänomen bleibt. Jede Regierung, die dieses Phänomen nicht von seinem Extrem - Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen - her denken würde, würde extrem verantwortungslos handeln.

Die gute Nachricht ist die, dass - wie erst jetzt wieder das Beispiele Libyens zeigt - selbst staatlich betriebene Terrorschmieden offenbar nicht imstande sind, Massenvernichtungswaffen am laufenden Band herzustellen. Die schlechte Nachricht ist die, dass es einen Untergrund- markt für solche Assets immer geben wird.

Und selbst wenn sich erweisen sollte, dass der militante Islamismus, das größte Reservoir für terroristische Umtriebe, historisch eher eine Degenerationserscheinung ist denn eine zukunftsträchtige Massenbewegung, so schließt dies nicht aus, dass irre Einzeltäter mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen eine unglaubliche politische Destabilisierungswirkung erzielen könnten. Wer wollte unter diesem Gesichtspunkt die oft dubios anmutende Terrorfixierung mancher Politiker auf die leichte Schulter nehmen?

Dies sollte nicht daran hindern, jede Instrumentalisierung des Terror-Themas als solche zu benennen und zu kritisieren. Auch von solchen Instrumentalisierungen hat es 2003 genug gegeben. Dass die Regierung Bush dazu neigt, ihre außenpolitischen Ziele oft mit einem überdehnten Terror-Begriff zu legitimieren, schadet ihrer eigenen Sache. Am gefährlichsten wird es dort, wo die Anti-Terror-Maßnahmen - siehe Guant´anamo - direkt auf Kollisionskurs mit demokratischen Grundprinzipien geraten.

In der vergangenen Woche haben US-Bundesrichter in San Francisco entschieden, dass es den Gefangenen in Guant´anamo - entgegen der Rechtsauffassung der Regierung Bush - erlaubt sein sollte, mit Anwälten Kontakt aufzunehmen und so eines der elementaren demokratischen Grundrechte wahrzunehmen.

Gerade in Zeiten nationalen Notstands müsse "die Justiz die verfassungsmäßige Werte schützen", hieß es in der Urteilsbegründung. Am Sonntag hat das Time-Magazine den "US-Soldaten" zur "Person des Jahres" ernannt. Auch die kalifornischen Richter wären gute Kandidaten für diesen Ehrentitel gewesen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.12.2003)