Theo ist heuer zum Interview mit einem dicken Revanche-Fragenkatalog angetreten Am Rande erzählte er auch von sich. Es war das Jahr der Urlaube, der Urtöne und der Urzeitkrebse. Hier das Porträt des Neunjährigen.

Irgendwer hatte heuer die glorreiche Idee, man könnte die Rollen vertauschen. Nicht ich porträtiere Theo, wie jedes Jahr zu Weihnachten, sondern er mich. Gleichsam als Revanche für die zehn Porträts, die er seit seiner Geburt im Oktober 1994 unzensuriert über sich ergehen lassen musste. Erst im Vorjahr gab es ob seiner Meerschweinchen einen winzigen medienrechtlichen Zwischenfall. Ich schrieb: "Im Grunde dürften sie Theo ziemlich egal sein, was auf Gegenseitigkeit beruht, denn einem Meerschweinchen ist 24 Stunden am Tag alles egal." - Als Theo das in der Zeitung sah, war ich für ihn spontan sein Exonkel. Erst eine Entgegnung ein paar Tage später in der STANDARD-Länderchronik - "Wahr ist vielmehr: Theo liebt seine Meerschweinchen über alles . . ." - rettete den Weihnachtsfrieden.

Diesmal sollte also Theo mich porträtieren. Offiziell war ich davon begeistert, denn ich ging davon aus, dass es bei der Idee bleiben würde. Einen Erwachsenen zu porträtieren müsste auf der Hobbyliste eines aufgeweckten Neunjährigen ungefähr an 998ster von 1000 Stellen rangieren, dachte ich, geschlagen vielleicht von Zähneputzen und Schlafengehen. Konkret mich zu porträtieren, müsste für Theo, der sich bereits mit globalen Dingen wie Akkordeon, Rapid und Urzeitkrebsen beschäftigt, etwa so spannend sein, wie einer Silbertanne beim Wachsen zuzusehen und diesen Vorgang in Worte zu kleiden. Tatsächlich reagierte Theo auf mein herbstliches Ansinnen: "Du, was hältst du davon, dass du mir heuer die Fragen stellst und ich dir die Antworten gebe?" mit einem melancholisch-zerknirschten "Mhm", in dem tiefes Mitleid mit den STANDARD-Lesern zutage trat - womit der Fall erledigt schien.

Einen Monat später kam es dann zu unserem traditionellen Interview-Wochenende im Waldviertel, und da geschah es: Theo fuchtelte schon bei der Begrüßung mit zwei Doppelbögen voll geschriebener A4-Blätter herum, zappelte aufgeregt und sagte: "Fang ma gleich an!" Er hatte gut zwei Dutzend Fragen ausgearbeitet, und er war wild entschlossen, jede einzelne an mich zu richten. Ich bedankte mich und wollte die Zettel verschwinden lassen. Aber er bestand auf einem Live-Interview, vor Zeugen - und noch vor dem Mittagessen. Wenigstens dagegen berief ich erfolgreich.

Hier nur ein paar Auszüge aus dem umfangreichen Katalog.
Theos Frage eins an mich: "Was kannst du am besten?"
Ich: "Da muss ich nachdenken."
Theo: "Nein, ich darf auch nie nachdenken!"
Ich: "Also gut, was ich am besten kann? - Fragen stellen! Und was kannst du am besten?"
Theo: "Ich stell' die Fragen!" (Schade, er ist zu intelligent für solche Fallen.)

Frage sieben: "Zu welchem Land hilfst du bei der Fußball-EM?"
Ich: "Wer spielt aller mit?"
Theo: Sag mir, zu wem du hilfst, und ich sag' dir, ob sie mitspielen."
Frage 17: "Zu wem hilfst du beim Skifahren?"
Ich: "Zu Heinz Prüller."
Theo: "Der gehört zur Formel eins. Du musst ,Seger' sagen!"

Frage 19: "Jetzt kommt eine schwere Frage", kündigt Theo an. Pause, er räuspert sich. - "Wie stehst du zum neuen Asylgesetz?" Wieder Pause, ich muss mich erst sammeln. "Theo, das ist aber jetzt nicht dein Ernst. Wie kommst du auf so was?", frage ich. Die Eltern schwören, nichts damit zu tun zu haben. Theo triumphiert: "Hab' ich aus der Zeitung. Ich hab' gewusst, dass das schwer ist!" Frage 20: "Wer ist dein Lieblingsinterviewpartner?" Endlich eine leichte Frage: "Aber Theo, du natürlich, dann lange, lange nichts, und dann wieder du." - Das war meisterlich, Theo wirkt vor Rührung angeschlagen. Es dauert trotzdem noch einige Stunden, bis ich ihn so weit habe, etwas von sich zu erzählen.

Über die Schule können wir uns heuer kurz fassen. Die Einserbanken im Zeugnis täuschen: Theo ist kein Streber, beteuert er. Er ist nur vermutlich der einzige Schüler der Welt, der von Lehrern dazu angehalten wird, weniger Hausübungen zu machen, als er macht. Was soll er tun? Sie gehen ihm halt so leicht von der Hand. Nur Basteln hasst er. (Bravo, ganz der Onkel.) Und auch ohne Musik könnte er leben. Außer er ist selbst am Akkordeon. Um falsche Klänge zu übertönen, singt er dazu. Um falschen Gesang zu überspielen, haut er in die Tasten. Im Wechselspiel der Überlagerungen bringt er es auf beträchtliche Lautstärken.

Als Kurzzeittherapie gegen die Qual der schulischen Unterforderung hat ihm seine Kusine Tamara amerikanische Urzeitkrebse, so genannte Triopse, geschenkt. Das waren spannende 90 Tage. Theo hat die Tiere im Aquarium nicht aus den Augen gelassen - und umgekehrt, wobei die Triopse im Vorteil waren. "Die haben drei Augen", erzählt Theo: "Aber ein Aug haben sie im Inneren." Um dieses beneidet sie Theo besonders. "Wenn das die Menschen auch hätten, könnten sie ihre eigenen Krankheiten sehen", sagt er.

Über Triopse weiß Theo mittlerweile alles. Sie atmen mit den Beinen. (Woraus sich die niedrige Lebenserwartung erklären könnte.) Sie fressen Fischfutter, Karotten (von den Meerschweinchen) und grüne tote Fliegenlarven, sind also so richtige Appetitspatzen. Im Handel erhältlich sind sie im praktischen Set mit Solarbatterie, Schlauch und Sauerstoff. Zuerst sieht man nur kleine Kugeln, aber irgendwann legen die Krebse ihren Panzer ab. Im konkreten Fall ereignete sich folgendes Familiendrama: Vier Stück schlüpften, nur zwei überlebten. Freunde wurden sie nie. Im Gegenteil: "Der eine hat den anderen aufg'fressen", berichtet Theo mit weit aufgerissenen Augen. Möglicherweise ist der Vielfraß daran erstickt. Nach drei Monaten waren jedenfalls alle tot. "Bist du traurig, Theo?", frage ich. - "Nein, ich hab' sie eh ein bisserl grauslich g'funden."

Von den dämonischen Tiefen des Aquariums nun in die heilige Pfarre am Wolfersberg: Im Juni feierte Theo Erstkommunion. Es war ergreifend. Kaum einer hielt die Kerze wackerer in die Höhe als er, obwohl ihm beinahe die Augen zufielen. "Ich bin heut' schon um sechs Uhr früh aufg'wacht", verriet er damals am Rande der Feierlichkeiten. "Weil du so aufgeregt warst?", fragten wir. "Nein, weil der Wecker geläutet hat", erwiderte Theo.

Im Sommer wurde dann so richtig Urlaub gemacht. Nach dem Camping-Klassiker mit den Großeltern in Bibione und einem Abenteueraufenthalt in Kärnten stachen sie dank Papas Segelschein mit der Yacht "Sirius" bei Biograd in die kroatische See. "Habt ihr viel gesehen?", frage ich. "Nein", erwidert Theo, "der Skipper hat immer nur ,Look at this!' g'sagt, aber er hat nie erklären können, was." (,Look at this' waren nämlich seine einzigen englischen Worte - immerhin drei mehr als seine deutschen.)

Zur Abrundung im Sinne des Fußballs besuchte Theo dann noch zwei Sommertrainingslager. Die Arbeit fruchtete, im Herbst wurde die derzeit unbestrittene Nummer 1 vom Penzinger Bierhäuslberg und Mittelfeldmotor der U-9-Elitemannschaft von SC Mauerbach zum "besten Spieler" derselben gekürt.

"Willst du einmal Fußballer werden?", frage ich ihn, wie jedes Jahr, denn billiger kann man kein Ja aus seinem Mund ernten. Aber diesmal sagt er überraschend: "Ja, vielleicht." - "Vielleicht? Was sonst?", setze ich nach. "Entweder Fußballer oder Radiologe oder Notar", erwidert Theo. "Warum um Himmels Willen Notar?", frage ich. - "Weil man da einfach nur einen Stempel machen muss und verlangen kann, was man will", erklärt mir Theo.

"Und warum spielst du mit dem Gedanken, Radiologe zu werden?", frage ich. Theo überlegt nicht lange: "Weil man da nur Ultraschallbilder macht, und weil's lustig ist." - Radiologe aus Humorgründen? Das ist eher neu. Theo drückt ein bisschen herum, das war offenbar noch nicht die volle Wahrheit. Ich bohre weiter und entlocke ihm schließlich: "Okay, weil man pro Befund 30 Euro kriegt." Ich setze ein ernstes Gesicht auf und frage mit eindringlicher aber sanfter Advent-Stimme: "Theo, ist Geld wirklich so wichtig?" Theo erwidert: "Na sicher, sonst kann man sich nichts kaufen."

Womit wir wieder bei Weihnachten angelangt wären. Und da frage ich ihn bewusst antimaterialistisch: "Theo, wünscht du dir eigentlich noch einen kleinen Bruder?" - "Nein!" - Das war eine recht schrille Protestnote. Vielleicht sind meine Fragen einfach zu bieder. "Aber wieso nicht? Den könntest du dann immer verhauen", sage ich pädagogisch schwarz. "So was tut man nicht", weist mich Theo zurecht. "Oder willst du vielleicht lieber eine kleine Schwester?", frage ich. - "Nein!" - Das kam noch schärfer. "Ich verstehe, auf die müsstest du dann immer aufpassen", sage ich. Darauf Theo: "Die würde ich dauernd verhauen!" Er lächelt verschmitzt. - Politisch korrekt ist er nicht. Aber er geht fast jeden Sonntag unaufgefordert und gern in die Kirche. Außerdem liest er lieber Brezina als Harry Potter. Er ist schon ein außergewöhnliches Kind. Da kann man echt stolz sein als Onkel. (DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe vom 20./21.12.2003)