"Kurzgeschichte" von Anselm Glück aus dem Band "Hypo- chondria". Übrigens handelt es sich bei diesem Werk ganz nebenbei um den vermutlich weltweit ersten Band mit Batya Horns epochemachender Erfindung des aus dem Umschlag herausschneidbaren Lesezeichens.

Dreiunddreißig Künstler ertappten sich – durchaus vergnüglich – beim Thema.

Wien – Fantasie ist – selbst mit "F" – ja an sich genügsam. Sie braucht wenig, um Großes daraus zu schaffen. Leider dehnt sie ihr Einsatzgebiet mitunter auf Regionen aus, die ihr Eigentümer, der fantasiegeplagte Mensch, gern als Privatzone vor sich geschützt wüsste.

Umsonst – kein sichereres Betätigungsfeld der Kreativität in Zeiten mangelnder Ablenkung (also meistens) denn der eigene Körper. Resultat: jede Zelle eine Note in der sinistren Todesartenpartitur.

Künstlerstimmen zu einer Anthologie der Hypochondrie zu versammeln lag also nahe. So nahe wohl, dass keiner daran dachte. Bis Batya Horn sich entschloss, dreiunddreißig heimische Autoren und bildende Künstler um Originalbeiträge zum Thema zu bitten. Instinktsicher wählte sie nun die nebelfeuchte Grippe-und Siechzeit, das schmucke Bändchen an den gelernten Hypochonder zu bringen.

Der findet sich aufgehoben im Kreis der Seinen. Und kaum eine Stimme der Wiener Literatur, die fehlte im Chor der Maladen, von Friederike Mayröcker zu Bodo Hell, von Anselm Glück zu Liesl Ujvary, von Helmut Eisendle zu Franzobel. Texte und Zeichnungen von Tone Fink, Ilse Kilic & Fritz Widhalm, Angelika Kaufmann, Kompositionen von Renald Deppe.

Der lesende Hypochonder erfährt von Elfriede Gerstls aufregender Beipackzettelsammlung: "in denen lese ich, wie sich andere krimis reinziehen. die arzneien schauen her – ich schau zurück." Er gerät mit Julian Schutting zu Besuch in ein großbürgerliches Haus, "ein Teil der Begrüßung die Frage, ob du dir die Hände waschen wolltest. ,Danke, nein.' Einem Rundgang durch den Obstgarten folgt die Frage, ob du dir nicht die Hände waschen möchtest."
Er liest lexikalische Hypochondrie-Definitionen bei Karl Riha oder Brigitte Holzinger: "insgemein wird es die krankheit derer gelehrten genennet, weil diese durch ihr vieles sitzen den bauch für und für drücken, wodurch die bewegung derer eingeweide verhindert und die verstopfungen verursachet werden."


Gomringer gesamt

Hypochondria [Eine Anthologie] ist mittlerweile die etwa fünfzigste Publikation der hochfeinen kleinen edition splitter. Seit nunmehr zwölf Jahren publiziert Batya Horn mit dem Enthusiasmus der Idealistin Bücher, die fernab des schnellen Marktes dem verspielten Experiment mit der Sprache Zeit und Raum gönnen. So erscheint bei splitter die vierbändige Gesamtausgabe des Werks von Eugen Gomringer, dem "Vater der konkreten Poesie". Der Kulturphilosoph Burghart Schmidt publiziert regelmäßig bei Horn – von ihm stammt auch der splitter-Leitspruch "lesen heißt jetzt splittern" – und die meisten jener Autoren, die nun in Hypochondria versammelt sind, zählen längst zum engeren Kreis der verschworenen "splitterer".

Elfriede Gerstl etwa splitterte (mit Illustrationen von Angelika Kaufmann) ein wunderbares Kinderlesebuch mit sechsundzwanzig Buchstabengeschichten von A bis Z: die fliegende frieda, das nun, just zu Weihnachten, mit der Musik von Renald Deppe auch als Hörbuch-CD erschienen ist, Geschichten etwa von Theresa und ihrer Tante Tina, dem Telefon, dem Tigerkater, der Thunfischdose und dem Thymiantopf.

Renald Deppe wiederum lädt allwöchentlich zu Monday-Sessions in den KunstSchauRaum Splitter Art (vorläufig letzte Session: 22. Dezember, 20.00). An dem wohl verstecktesten öffentlichen Ort Wiens in der Salvatorgasse 10 mitten im ersten Bezirk bietet Batya Horn nämlich nicht nur tagsüber ihre Bücher und gewagten T-Shirt-Kollektionen feil – passend zur Hypochondrie zuletzt: Too tired to die aus Alberto Pimentas splitter-Buch Verdichtungen – sondern öffnet die geistige Spielwiese großzügigst auch abends für alle, die den Weg in die dunkle Seitengasse der Marc-Aurel-Straße finden.
Das Suchen lohnt.(DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2003)