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Wäre das Originalgesetz von 1991 in Kraft geblieben, müsste der überwiegende Teil der Markenöle heute auf das Attribut Extravergine verzichten

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Direktproduzenten wollen den zertifizierten Ursprungsnachweis, Großabfüller sind an möglichst tiefen Qualitätsanforderungen und einer Klassifizierung interessiert, die den Einlass ihrer Verschnittöle in die höchste Güteklasse ermöglicht. Von Andreas März

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Italien erzeugt im Mittel über 500.000 Tonnen Olivenöl und kauft jährlich etwa 400.000 Tonnen aus dem Ausland hinzu. Von den rund 900.000 Tonnen wird der größte Teil in Italien verbraucht und rund 250. 000Tonnen (wieder) exportiert. Italiens Hauptlieferanten sind Spanien, Griechenland und Tunesien, Hauptabnehmer sind USA, Deutschland und Frankreich. Der Ölmarkt ist, grob geschätzt, zwischen drei und vier Milliarden Euro wert und wird von wenigen Großfirmen kontrolliert.

Wie ausgeprägt die Konzentration des Angebotes ist, zeigt die Tatsache, dass die zehn größten Olivenölvermarkter einen Anteil von 60 Prozent des italienischen Marktes halten. Es heißt, 82 Prozent des italienischen Olivenölmarktes seien in der Hand der großen Abfüller und nur 18 Prozent des Öls werden von der Direktproduktion vermarktet. Zieht man von den 18 Prozent der Produzenten die großen Ölmühlen ab, verbleibt den eigentlichen Olivenproduzenten nur ein Marktanteil von drei bis vier Prozent.

Qualität und Schutz des Konsumenten

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, mit welchen Sachzwängen der Gesetzgeber konfrontiert wird. Das Gewicht der großen Konzerne, die zehntausendtonnenweise Olivenöl aufkaufen und vermarkten, kann nicht durch fromme Wünsche wie die nach der Förderung der Qualität und dem Schutz des Konsumenten aufgewogen werden. Denn: Wäre das Originalgesetz von 1991 in Kraft geblieben, müsste der überwiegende Teil der Markenöle heute auf das Attribut Extravergine verzichten. Dies hätte zur Folge, dass die großen Ölfirmen den Extravergine-Markt einer kleinen Minderheit von Anbietern überlassen müssten.

Qualitätslimit und Gewinnmaximierung

Jede gesetzliche Qualitätslimite stellt für den industriellen Ölhandel eine Einschränkung seines Strebens nach Marktmacht und Gewinnmaximierung dar. Es ist bekannt, dass die meisten Markenolivenöle in jüngster Vergangenheit zwar über der bisherigen gesetzlichen Mindest-Panel-Note von 5,5 lagen, aber fast immer unter 6,5 (das war die vorgesehene Mindestgeschmacksnote, die neben analytischen, objektiven Kriterien zur Klassifizierung "Extravergine" beitragen sollte; nach der EU-Verordnung von 1991, siehe unten). Das bestätigt auch Paneltester Saverio Petrilli, Önologe und offizielles Mitglied der Olivenöl-Verkostungskommission der Handelskammer Lucca: "Meine Erfahrungen bestätigen, dass die meisten Supermarktöle keine 6,5 Punkte erreichen. Manche Olivenöle, die ich im Handel erworben habe, sind keine 4 Punkte wert." (...)

Dunkle Periode schlechter Qualitäten

Das Olivenöl-Gesetz der EU von 1991, das dem Extravergine nach einer dunklen Periode schlechter Qualitäten und munterer Fälschertradition die Würde zurückgeben und eine minimale Qualität sicherstellen sollte, war lediglich ein Jahr in Kraft, als es der internationalen Öllobby gelang, die Kriterien für die Extravergine-Klasse nach unten zu korrigieren.

Während der erste Angriff auf die Regelung eine vorübergehende, eher harmlose Toleranz von einem halben Panel-Punkt durchsetzte, führte die zweite Attacke nur ein halbes Jahr später zu einer "Übergangsregelung", die ein weiteres Aufweichen der Qualitätsanforderungen zur Folge hatte. Die Endoffensive der Öllobby auf die Qualitätsklasse führte 1995 dazu, dass aus der Übergangslösung eine Dauerlösung wurde. Der Panel-Wert von 5,5 für das Extravergine wurde fest verankert und damit das Schicksal dieser Klasse besiegelt. (...)

Extravergine ist nicht Extravergine

Das Problem für die Qualitätsproduzenten ist heute, dass die Kundschaft meist nicht versteht, weshalb sie für ihr Öl bis zehn Mal mehr bezahlen soll als für ein x-beliebiges Extravergine vom Discounter.

Die hohen Preise authentischer Ursprungs-Olivenöle werden von der Mehrheit der Verbraucher als freche Geldmacherei missverstanden. Sie können nicht ahnen, dass die industriellen Abfüller für ihre "Extravergine-Cuvées" Olivenöle verwenden, die sie allerhöchstens zwei oder drei Euro der Liter kosten. Und woher sollten die Konsumenten wissen, dass die Produktionskosten für ein Spitzenöl - je nach Jahr und Produktionsgebiet - acht bis zehn Euro pro Liter betragen und somit ein Liter erstklassigen Produzentenolivenöls im Laden unmöglich weniger als zwanzig oder fünfundzwanzig Euro kosten kann. (In anderen Ländern als Italien kann der Preis wegen geringerer Arbeitskraftkosten niedriger liegen; d.Red.)

Eingeprägter Geschmack

Fast schlimmer aber ist, dass der Markt sich an einen Extravergine-Geschmack gewöhnt, der keiner ist. Diese im besten Falle charakterlosen, in der Regel aber mit sensorischen Fehlern belastete Marken-Extravergine ohne ausgeprägte Frucht, ohne charakteristische Bitterkeit und Schärfe prägen den Geschmack der Konsumenten. Es ist heute leider bereits so, dass der intensive, typische Olivengeschmack eines Spitzenprodukts von vielen Verbrauchern abgelehnt oder gar als Fehlerhaftigkeit verstanden wird. Die Leuten prägen sich einen Geschmack als "typisch" ein, der eindeutig auf Verderbnis und schlechte Handhabung von Oliven und Öl zurückzuführen ist.

Andreas März ist Chefredakteur von "Merum. Das Insidermagazin zum italienischen Wein" und gilt als einer der kompromisslosesten Streiter für die Qualität mediterraner Speisen und Getränke. Im März brachte der in Lamporecchio (Provinz Pistoia) wohnhafte deutsche Autor eine leider vergriffene Sondernummer "Dossier Olivenöl" heraus; aus einem der Beiträge zitieren wir auszugsweise und mit freundlicher Genehmigung. Das Magazin ist über die Schweiz zu abonnieren: EDP Services, Ebenaustrasse 10, CH-6048 Horw.

(DER STANDARD Printausgabe 12.12.2003)