Frankfurt/Main - Eigentlich wollte Joseph Blatter mit seiner Erklärung zur Lage des Fußballs bis zum Jubiläumskongress des dann 100-jährigen Weltverbandes (FIFA) im Mai in Paris warten. "Da wollte ich eine große Rede halten. Doch ich werde das schon früher machen und spätestens bis zum Monatsende ein Grundsatzpapier verfassen", erklärte der FIFA-Präsident am Freitag am Rande der WM-Auslosung in Frankfurt.

Der Schweizer redete sich vor der internationalen Presse förmlich in Rage. Die Situation habe sich derart zugespitzt, dass er nicht länger stillhalten könne. "Wir müssen unserer Verantwortung nachkommen, um den Fußball zu kontrollieren", so der 67-Jährige, der gleich von zwei Seiten Gefahren auf sich zukommen sieht: Doping und Gerichte. In der Tat haben sich in den vergangenen Wochen die Fälle gehäuft, in denen Blatter das Gefühl haben musste, ihm gleiten die Zügel aus der Hand.

Beispiel Carlos Tevez

So erwirkte in Argentinien der von Bayern München umworbene Junioren-Teamspieler Carlos Tevez vor einem ordentlichen Gericht, dass er nicht für sein Land bei der U20-WM antreten muss und stattdessen für seinen Verein Boca Juniors weiterspielen darf. In Spanien hat der Nationale Gerichtshof eine zweijährige Dopingsperre gegen Nandrolon-Sünder Carlos Gurpegi außer Kraft gesetzt und dem Profi von Athletic Bilbao die Spielerlaubnis erteilt.

Vor allem aber beschäftigt Blatter der Fall Rio Ferdinand. Der englische Team-Verteidiger hatte bereits am 23. September einen Dopingtest verweigert, doch da bis heute eine Entscheidung des englischen Verbandes (FA) aussteht, ist er weiter für Manchester United in der Premier und Champions League im Einsatz. "Also bitte", ereiferte sich Blatter, "so geht das nicht. Solch ein Vorfall muss innerhalb einer Woche verhandelt werden, und bis dahin muss der Spieler als nicht spielberechtigt erklärt werden."

Ferdinand als Exempel?

Gut möglich, dass Blatter nun an Ferdinand ein Exempel statuieren wird und den 25-Jährigen über die EURO 2004 in Portugal hinaus aus dem Verkehr ziehen lässt. Denn: Sollten die nationalen Instanzen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, so seine Drohung, "müssen wir sicherstellen, das angemessene Entscheidungen unverzüglich getroffen werden".

Blatters Haltung verwundert angesichts der Tatsache, dass er vor gerade einmal sechs Wochen auf dem außerordentlichen FIFA-Kongress in Doha verkündet hatte, der Fußball habe kein Doping-Problem. "Das war ein Irrtum", so der Schweizer heute: "Ich habe geglaubt, unser Sport wäre sauber. Aber er ist nicht sauber. Der Fußball steht unter Verdacht." Da "nur der Starrköpfige an seiner Meinung festhält, ich aber nicht starrköpfig bin", will Blatter nun als Saubermann der FIFA voranschreiten. "Wenn wir unseren Sport reinigen wollen, müssen wir daran arbeiten. Dann brauchen wir Funktionäre, die funktionieren. Keine Ehrenamtlichen, sondern Top-Leader, die Macht haben und etwas können."

Ausgerechnet in England, dem Mutterland des Fußballs, sieht Blatter dabei gravierende Defizite. Acht Monate habe es gedauert, bis die Disziplinar-Kommission der FA ein Vergehen von Teamspieler Joe Cole geahndet habe. "So sollten wir mit unseren Problemen nicht umgehen", entgegnete Blatter nun. Dass er ausgerechnet in Großbritannien mit dem großen Reinemachen beginnen will, ist pikant. Denn dort waren bei der Schlammschlacht vor seiner Wiederwahl im Vorjahr die schwersten Geschütze aufgefahren worden. "Nach Beurteilung der Lage habe ich festgestellt", so Blatters Erkenntnis aus dem gewonnenen Machtkampf, "dass das Böse, das sehr Böse meist von der britischen Insel kommt".(APA/dpa)