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Wiesbaden/Berlin - In Deutschland wird derzeit überall gespart, aber nicht bei Bildung und Forschung. Die rot-grüne Bundesregierung hat für den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen bis 2007 vier Milliarden Euro bereitgestellt. Für heuer wurden 300 Millionen Euro gesichert, in den kommenden drei Jahren fließt jeweils eine Milliarde, 2007 werden 700 Millionen Euro locker gemacht. Damit soll fast jede dritte Schule ein Ganztagsangebot bekommen.

Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) will damit Konsequenzen aus dem "Pisa-Schock" ziehen, da Deutschland bei der internationalen Vergleichsstudie schlecht abgeschnitten hat. "Gerade in der frühen und individuellen Förderung unserer Kinder haben wir die größten Defizite." In den bei der Pisa-Studie erfolgreichen Ländern sei Förderung der Kin- der in Ganztagsschulen die Regel.

Da in Deutschland Bildungsangelegenheiten Ländersache sind, muss dort die Umsetzung erfolgen. Die Kultusministerkonferenz legte in diesem Frühjahr zuerst einmal fest, was unter Ganztagsschulen zu verstehen ist: mindestens sieben Stunden Unterricht und unterrichtsähnliche Angebote an wenigstens drei Tagen pro Woche, Mittagessen sowie ein enger konzeptioneller Zusammenhang von Zusatzangeboten wie Musikarbeitsgruppen oder Hausaufgabenbetreuung zu den Unterrichtsinhalten.

Gegen Schulzwang

Als eines der ersten Bundesländer hat sich just das von einer CDU/FDP-Koalition regierte Hessen darangemacht, das Ganztagsangebot auszubauen. "Hessen ist Vorreiter beim Ausbau von freiwilligen Ganztagsangeboten in allen Regionen. Aber eine Zwangsganztagsschule wird es mit mir nicht geben", stellte Kultusministerin Karin Wolff (CDU) klar. "Wir garantieren ein Ganztagsprogramm nach Maß. Unser Ziel ist eine ausgewogene und bedarfsorientierte Mittelverteilung in ganz Hessen."

Der Bund will Hessen bis zum Jahr 2007 insgesamt 280 Millionen Euro dafür zur Verfügung stellen. Das Land leitet das Geld des Bundes lediglich an die Schulträger weiter. Eine finanzielle Beteiligung des Landes am Aufbau von Ganztagsschulen ist nicht vorgesehen - abgesehen von der Schaffung zusätzlicher Lehrerstellen an den betreffenden Schulen. Die Schulträger - meist die Gemeinden - müssen, um die Fördermittel zu bekommen, wenigstens zehn Prozent Eigenmittel beitragen.

Eine weitere Bedingung für die Berücksichtigung der Förderanträge ist ein pädagogisches Konzept der Antrag stellenden Schulen. Die Entscheidung darüber liegt beim jeweiligen Bundesland, nicht beim Bund - dafür hat insbesondere Hessen gekämpft. "Hessen orientiert sich an pädagogischen Maßstäben. Deshalb haben wir neben Schulküchen und Aufenthaltsräumen auch pädagogisch wertvolle Einrichtungen wie etwa Bibliotheken, Räume für naturwissenschaftliche Experimente und musisches Gestalten in die Richtlinie aufgenommen", so Wolff. Damit sei auch die individuelle Förderung der Schüler gewährleistet.

Auf eines legt die CDU-Politikerin besonders Wert: "Wir wollen Kindern und Jugendlichen keine verpflichtende Ganztagsschulen überstülpen. Eltern haben eine besondere Verantwortung für die Erziehung und Versorgung ihrer Kinder. Und das muss auch so bleiben."

Zu Beginn dieses Schuljahres starteten 50 Schulen mit einem Ganztagesangebot, weitere 15 Schulen bauten ihr Angebot aus. 81 Lehrer wurden zusätzlich engagiert. Kultusministerin Wolff verweist darauf, dass in Hessen bereits in den vergangenen zwei Jahren "mehr als hundert Ganztagsangebote geschaffen wurden - ohne einen Cent aus Berlin".

Während es in Österreich, wie der steirische ÖVP-Politiker Andreas Schnider im STANDARD-Gespräch konstatierte, konservativen Parteifreunden noch immer schwer falle, über ihren ideologischen Schatten zu springen, gehören diese Debatten in Deutschland der Vergangenheit an. "Das sind doch olle Kamellen", heißt es im CDU-regierten hessischen Kultusministerium zu den noch vor wenigen Jahren durchaus kontrovers geführten Debatten über Ganztagsschulen.

Auch in der Bevölkerung werden Ganztagsschulen überwiegend positiv bewertet, vor allem von Frauen, die dadurch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehen. Laut einer Forsa-Studie befürworten 79 Prozent der Deutschen den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen. (DER STANDARD,Printausgabe,1.12.2003)