Relaxed Muscle
A Heavy Night With ...
(Rough Trade/Musica)

Foto: Rough Trade
Zusammen mit Jason Buckle widmet er sich zu abgründigen Techno-Modifikationen den Kindern der Nacht.


Zu zäh pumpenden Elektro-Beats und "Ich hasse meine Eltern-, Geschwister-, Haustiere"-Nervensägen-Riffs eröffnen Relaxed Muscle ihr Album, um der gleich im ersten Song ausgesprochenen Warnung, "This is going to be a heavy night", ein adäquates Entree zu schaffen. Und wahrlich, was dann, verpackt in einem dreckigen Dutzend Songs aus den Boxen kriecht, kreischt und stöhnt, hat sich gewaschen. Oder eigentlich nicht. Denn Relaxed Muscle bedienen nicht gerade die Saturday-Night-Fantasien von Wochenend-Hippstern: Kein Safe Sex. Keine sauberen Mausis in adretten Kostümchen. Kein lieblicher Small Talk. Nix Bussi Bussi. Oh nein! Relaxed Muscle sind Pitralon und Feinripp. Oberlippen- und Achselbart. Turbonegro und Burt Reynolds in der Herrensauna. 50-Kubik-Mopeds und knallenge Blue-Jeans-Hosen. Relaxed Muscle sind Jason Buckle und Darren Spooner - auch bekannt als Jarvis Cocker und als solcher Sänger der auf Eis gelegten Band Pulp.

Cocker, der sich nach dem letzten Werk We Love Life der großen britischen Bohemiens einem ebensolchen Leben in Frankreich widmen wollte, kehrt also wieder. Und zwar mit einem Alter Ego, das dem Titel eines Pulp-Meisterwerks entspricht: This Is Hardcore. Schon sein Mitwirken auf dem Album des Elektro-Clash-Dancefloor-Kasperls Richard X ließ erahnen, dass, wenn Cocker wider Erwarten Pop "Au revoir" gesagt hätte, dies nur eine temporäre Abkehr gewesen sein dürfte.

Doch nicht nur formal hat der Mann mit Hang zu Clay-Regazzoni-Brillen einen radikalen Wechsel vollzogen. Auch der ungleich subtilere Schrecken, jenen artifiziell erhöhten Ekel vor der Welt und ihren Bewohnern, den Pulp in bester Roxy-Music-Tradition minus deren Glamour verkörpert hatten, weicht bei Relaxed Muscle einer Direktheit, die den Geschmack der Faust aufs Auge trägt: Zack! Und von geschwollen bis zum Schwellkörper ist es bekanntlich nicht weit. Doch soll man Cocker diesen radikalen Stilbruch tatsächlich glauben? Hundertprozentig jein. Denn natürlich ist Relaxed Muscle pure Koketterie. Eine Spiel, gespeist aus der Faszination am Abwegigen. Aber mit einer Emphase dargereicht, die jeder Authentizität schmeichelt, ohne selbst diesbezüglich in die Pflicht genommen zu werden. Anders gesagt: Wer so viel Herzblut vergießt - und sei es auch nur wie hier Achselschweiß - der wird, wie alle leidenschaftlichen Sünder, Vergebung finden.

Musikalisch errichten Relaxed Muscle - der Name allein bietet schon Interpretationsmöglichkeiten, dass sich die Balken biegen - ihr Fundament auf einem Boden, der von Elektronikern der vergangenen zwanzig Jahre bereits auf seine Möglichkeiten überprüft und für gut befunden wurde. Von den scheppernden Synthie-Bastarden der Flying Lizards über den Spaghetti-Western-"Techno" der frühen Wall Of Voodoo bis zur aktuellen Modifikationen der Electric Body Music bedient sich der dafür verantwortliche Jason Buckle, während Jarvis Cocker den extrovertierten Grenzgänger der Nacht gibt. Einen Hansdampf in allen Gassen der Gottlosigkeit. Drogen? Sex? Punkrock? Hereinspaziert!

Der Höhepunkt, den dieses daran nicht eben arme Werk zu bieten hat, heißt Billy Jack. Ein Stück, in dem Cocker einen schwulen Cowboy gibt, einen "Man, who has been pushed around just once too often": "You wanna mess with Billäy, boy you must be silläy ... Gät bäck, or I will ättäck. I put you in di gräve ..." Versyphte Rhythmen, die Kanonen krachen wie bei der Urhymne aller blutigen Hochzeiten, Roy C.'s Northern-Soul-Stomper Shotgun Wedding, während Cockers tuntiger Zungenschlag Tom of Finland glatt als Hetero erscheinen lässt. Andere Songs tragen Titel wie Let It Ride, Sexualized oder schlicht und ergreifend Muscle Music.

Und wenn Cocker am Ende, im Song Mary, erschöpft, ausgelaugt und von Drogen vergiftet gegen das dräuende Tageslicht ansingt, weiß man, A Heavy Night With Relaxed Muscle war kein leeres Versprechen. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.11.2003)