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Die Meinungen über die Auswirkungen des Entschlusses gehen auseinander: für die Befürworter von Sanktionen ist der Pakt damit fast "gestorben", die anderen sehen keinen Verstoß

Montage: derStandard.at - Foto: Reuters/Orlowski

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Der deutsche Finanzminster Hans Eichel konnte sich in Brüssel zwar durchsetzen, sieht sich aber vor allem zu Hause massiver Kritik ausgesetzt.

dpa/Wolfgang Kumm
Die EU-Kommission beklagt einen Verstoß gegen Wortlaut und Geist des Vertrages. Grasser gibt ihn nicht verloren.

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Die Entscheidung kam morgens um halb vier, im Dunkeln blieben ihre Folgen für den Stabilitätspakt: Nach dem Einfrieren des EU-Defizitverfahrens gegen Deutschland und Frankreich gingen am Dienstag die Meinungen über die Zukunft des Euro-Pakts auseinander: "Der Pakt lebt", so der deutsche Finanzminister Hans Eichel. EU-Währungskommissar Pedro Solbes sprach hingegen von einer "Niederlage für Europa". Weder der "Geist noch die Bestimmungen des Stabilitätspakts" seien eingehalten. Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg schloss er nicht aus.

Eine Sperrminorität von Finanzministern aus Italien, Portugal, Irland und Luxemburg hatte aufseiten von Paris und Berlin zuvor nachts in der Eurogruppe und dann auch am Vormittag im Ecofin-Rat die strengen Defizitvorgaben der EU-Kommission für Deutschland und Frankreich abgeblockt. Die Minister ersetzten sie durch eine mildere und rechtlich unverbindliche Erklärung - vorbei am vorgeschriebenen Verfahren des Stabilitätspakts. Kommissar Solbes konnte im Namen seiner Behörde nur mehr "tief bedauern", dass die Eurogruppe "nicht dem Geist und den Regeln" des Pakts gefolgt sei und "die rechtlichen Vorschriften missachtet".

Feierliche Erklärung der "Sünder"

Eichel und sein französischer Kollege Francis Mer sehen sich nach dem Ratstreffen in Brüssel nicht den von der Kommission vorgelegten bindenden Vorschriften gegenüber, ihre strukturellen Budgetdefizite im kommenden Jahr um 1,0 Prozent im Falle Frankreichs und 0,8 im Falle Deutschlands zu reduzieren. Vielmehr gingen sie nur mit der feierlichen Erklärung nach Hause, die Neuverschuldung um 0,8 beziehungsweise 0,6 Prozent zu verringern.

Für Eichel war das "ein Sieg der Vernunft": dürfe man doch nicht gezwungen werden, in die Stagnation "hineinzusparen". Deutschland habe sich bisher an alle EU-Sparvorschriften gehalten. Er wolle sich aber nicht der Gefahr der im Stabilitätspakt vorgesehenen Bußgelder aussetzen, wenn die deutsche Neuverschuldung wegen der schlechten Konjunktur und trotz aller Reformen auch 2004 im dritten Jahr in Folge über der Grenze von drei Prozent des BIP liegt.

"Kommission zur Seite geschoben"

Kein Verständnis fand er damit beim niederländischen Finanzminister Gerrit Zalm: "Die Kommission wurde zur Seite geschoben, und das ist sehr ernst für Europa." Sein Amtskollege Antti Kalliomaki aus Finnland sagte: "Die Zukunft wird zeigen, in welcher Verfassung der Pakt ist, wir wissen es noch nicht."

Karl-Heinz Grasser freute sich, dass sich ihm und Zalm im Rat am Ende noch sechs andere Staaten angeschlossen hatten, und versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen: "Wir haben eine Schlacht rund um den Stabilitäts- und Wachstumspakt verloren, aber nicht den Krieg." Er war aber überzeugt, dass kleinere Eurostaaten nicht so glimpflich davongekommen wären. Eine Gefahr für den Euro sieht er nicht.

Euro-Auswirkungen

Beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin denkt man genauso. Anders in Wien die Erste-Bank-Analystin Veronika Lammer: Der Kompromiss werde dem Euro "einen Dämpfer versetzen". Die Mitglieder des Rats der Europäischen Zentralbank schalteten sich noch am Dienstag zu einer Telefonkonferenz zusammen.

Der Gouverneur der Nationalbank, Klaus Liebscher, sagte, die Entscheidung sei ein politischer Kompromiss. Von den Sanktionen Abstand zu nehmen sei bedauerlich, der Stabilitätspakt per se bleibe aber aufrecht. Er sehe sich in seiner Auffassung bestärkt, dass es wichtig sei, die Rolle der Kommission in derartigen Entscheidungsprozessen zu stärken. (DER STANDARD Printausgabe, 26.11.2003)