Polyfilm

Barbara Alberts ambitionierter zweiter Spielfilm "Böse Zellen" erstellt das düstere Gesellschaftsbild einer Kleinstadt, in der sich die Figuren aus schuldhaften Verstrickungen kaum zu befreien vermögen und allein Musik Schmerzlinderung verspricht.

Wien – "Wir machen Sie glücklich." – Das Versprechen eines Werbeplakats für ein zukünftiges Shoppingcenter richtet sich ans Wohlempfinden. Per Rubbellos lässt es sich einlösen. Dem Gewinner winkt ein Eigenheim. Am Ende von Barbara Alberts Böse Zellen ist Andreas (Georg Friedrich) dann der Glückliche, aber unglücklich bleibt er: Ganz allein steht er in den Räumen des Fertigteilhauses, von dessen Fenster man eine gute Aussicht auf die Bundesstraße hat.

Das Glück ist ein Vogerl oder auch ein Schmetterling in den Tropen: Ein Flügelschlag genügt, besagt ein Gesetz der Chaostheorie, um am anderen Ende der Welt eine Katastrophe auszulösen. Manu (Kathrin Resetarits) ist dafür besonders anfällig: Das Flugzeug aus Rio, wo die Verkäuferin ihren Urlaub verbracht hat, stürzt ab – sie überlebt. Sechs Monate später verunglückt sie am Rückweg von der Landdisco tödlich.

Mit ihrem zweiten Spielfilm Böse Zellen wendet sich Albert (Nordrand) existenziellen Themen wie den Fragen nach Schicksal und Notwendigkeit, Schuld und Vergebung zu. Eine Reihe von Figuren, die alle denselben Lebensraum einer Kleinstadt teilen, verbindet zu allererst eine grundlegende Misere: Inmitten von Heilsversprechungen und Ersatzbefriedigungen, ob religiöser, warenspezifischer oder therapeutischer Natur, ist die Einsamkeit besonders groß.

Netzwerk der Schuld

Die meisten plagt ein Verlust – der Tod eines geliebten Menschen, die Mitschuld an einem Unglück, an einem Vergehen. Albert folgt keiner linearen Erzählung, vielmehr sucht sie mit einer netzwerkartigen Montage ein Gesellschaftsbild zu erstellen.

Die Vogelperspektive erhält darin einen privilegierten Platz: Kein sehnsuchtsvolles Schauen in den Himmel mehr wie in Nordrand, sondern ein Runterblicken auf den tagtäglichen Daseinskampf, in dem kein Horizont für Veränderungen auszumachen ist.

Das verleiht dem Film eine Düsternis, aus der das jüngere heimische Kino insgesamt nicht herausfinden will: Konzepte, die sozialen wie ökonomischen Zustände zu überwinden, sind rar, weil die Figuren kein Bewusstsein davon entwickeln. Albert arbeitet sich an trügerischen Sinnmodellen ab. Sie eröffnen keine Fluchtlinien, sondern offenbaren Schmerz.

In den fragwürdigsten Momenten weicht der Realismus des Films einem Determinismus – meist dann, wenn das Elend einer Nebenfigur nur wenige Konturen erhält, ganz Körperlichkeit wird: Reini (Martin Brambach) rammelt bloß wie ein Duracell-Hase, Gerlinde (Marion Mitterhammer) erhält keine Chance, sich von ihren Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien.

Anderen wird eine Ahnung von Glück gegönnt, und sie erzählt beredter von vergangenen Entbehrungen. Solche Alltagsbeobachtungen sind die Stärken von Böse Zellen: wenn sich der Film freispielt von seinem Anliegen, die Metaphysik dieser Welt verstehen zu wollen, und sich einer intensiven Erfahrung von Gegenwart hingibt.

Manu mit ihrer Freundin Andrea (Ursula Strauss) im Auto, Take On Me von a-ha mitsingend, oder die Stelle in einem Wirtshaus, wo Nights of White Satin zur schwülstig-schönen Metapher für ein dreisteres Leben wird: Hier wird Musik zum Mittel, die bleiernen Verhältnisse kurz auszublenden. (DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.11.2003)