Wien - Seine Aufnahme der zweiten Symphonie von Gustav Mahler, die er mit dem London Symphony Orchestra aufgenommen hat, ist die meistverkaufte Mahler-CD (175.000 Exemplare) überhaupt. Nun macht Dirigent Gilbert Kaplan sich selbst Konkurrenz. Zusammen mit den Wiener Philharmonikern hat er sich (für die Deutsche Grammophon) das üppige Werk wieder vorgenommen.

Wer meint: "Na und? Es gibt schon unzählige Aufnahmen dieses Werkes", kennt nicht Kaplans bemerkenswerte Geschichte. Und jene aus dieser Geschichte erwachsenden historisch relevanten Folgen. Die Story handelt zunächst von einer der seltsamsten Musikliebesgeschichten des vorigen Jahrhunderts: 1965 hört der New Yorker in der Carnegie Hall Mahlers Zweite in der Version von Leopold Stokowski, was laut Kaplans Einschätzung viel, nämlich "mein Leben" veränderte.

Fortan beschäftigt sich Kaplan intensiv mit dem Auferstehungswerk, und es wächst ein Wissen heran, das den Gründer des Wirtschaftsmagazins Institutional Investor 1982 auf die Idee bringt, beim 15-Jahre-Jubiläum seiner Zeitschrift im Lincoln Center die Symphonie zu dirigieren. Zumindest einmal. Ein Jahr lang nimmt er Unterricht, das Konzert findet statt, und es bleibt beileibe nicht beim dirigentischen Einzelfall.

Nach und nach flattern Einladungen auf den Tisch, Kaplan hat das Werk mittlerweile weltweit 100-mal dirigiert. Und nur dieses. Ausnahme: das Adagietto aus der fünften Mahler-Symphonie. Die Beschäftigung mit den Noten und den Quellen hat ihn auch zur interessanten Entdeckung geführt, dass es in den Partituren der Zweiten mehr als 500 kleine Fehler gibt.

Zu dieser Erkenntnis führte eine Partitur, die von Mahler über Jahre hinweg revidiert wurde und in die er die Änderungen für die letzte Fassung notiert hat. Es geht um Details der Artikulation, der Dynamik - auch spezielle Positionierungen der Musiker im Raum werden bei der Aufnahme berücksichtigt. Das alles macht Sinn, keiner hat so penibel notiert wie Mahler: "Er misstraute Dirigenten", sagt Kaplan. Die Partitur erscheint bei der Universal Edition; einen Plan der Philharmoniker, mit Kaplan live aufzutreten, gibt es bis dato übrigens nicht. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.10.2003)