Dass es vor der Landtagswahl am kommenden Sonntag solcherart politische Schönfärberei gibt, ist normal. Und in Südtirol bedarf es nicht einmal eines zweiten Blickes, um zu sehen, dass das Land entgegen den Behauptungen der Herrschenden nicht mit Bayern oder Nordtirol zu vergleichen ist, wo konservative Volksparteien unlängst absolute Mehrheiten erreichten.
Der großzügig vom Staat alimentierte Wohlstand, das politische Konkordanzsystem und die ethnische Bestemm-Mentalität haben aus dem Land eine Art geschützte Werkstätte gemacht. Der Landeshaushalt betrug 2002 rund 4,3 Mrd. Euro, ein Gutteil davon stammte nicht aus dem Südtiroler Steueraufkommen. Deswegen wird alles und jedes irgendwie "vom Land", wie man gern sagt, subventioniert. Wettbewerb - ökonomischer wie intellektueller - findet kaum statt. Südtirol wirkt in einer zunehmend globalisierten Welt wie ein Land im toten Winkel.
"Bittstellerdemokratie"
Wer etwas in Südtirol erreichen will, muss ins Landhaus nach Bozen pilgern. Dort ordiniert Landeshauptmann Luis Durnwalder wochentags zwischen sieben und acht Uhr in der Früh. Über seinen Schreibtisch laufen alle Anliegen - gleich, ob es nun um eine Wohnung geht oder eine Seilbahnkonzession. "Bittstellerdemokratie" nennen das Kritiker. Durnwalder hat das noch nie gestört, er hat bei den Wahlen 1998 104.000 Vorzugsstimmen erhalten. Diesmal werden es wohl noch mehr sein - obwohl der SVP Umfragen zufolge die Wähler abhanden zu kommen scheinen. Bereits bei den Wahlen 1998 hat die Sammelpartei die absolute Mehrheit bei den Jungen und höher Gebildeten der deutschsprachigen Südtiroler verloren.
Zwischen den im Wahlkampf wieder einmal aufgeflammten ethnischen Reibereien und einer beispiellosen Medienkonzentration - die Athesia-Gruppe der kreuzkonservativen Familie um den SVP-EU-Parlamentarier Michl Ebner beherrscht 85 Prozent des Marktes - geht das Unbehagen vieler Südtiroler an der Selbstzufriedenheit des Landes unter. Claus Gatterers Diagnose über die "bösen Leut'" in einer "schönen Welt" mag nicht mehr uneingeschränkt zutreffen, doch das viel gepriesene "Modell Südtirol" über ein fruchtbares Zusammenleben dreier Ethnien trägt einstweilen nicht.
Die Vision, Chancen aus der kulturellen Vielfalt des Landes zu gewinnen, gibt es offiziell kaum. Und Kopfgeburten wie die "Europaregion" Tirol lösen diesen Anspruch nicht ein. Vor allem, weil sie die Nordtiroler und Trientiner mehr interessieren als die Südtiroler selbst. So verharrt das Land, wie der Chefredakteur des Bozner Wochenmagazins "FF", Hans Karl Peterlini, in einem eben erschienenen Buch über die Südtirol-Autonomie schreibt, "zwischen ethnischer Verwirrung und verordnetem Aufbruch".
Fern von Europa