Standard: Seit mehr als zehn Jahren ist die Autonomie unter Dach und Fach. Und doch gibt es offenbar kein entspanntes Zusammenleben in Südtirol. Warum? Günther Pallaver: Die SVP hat zunächst nicht auf ethnische Themen gesetzt - die tauchten erst am Ende des Wahlkampfes auf. Die SVP reagierte eher auf die italienischen Parteien. Forza Italia und Alleanza Nazionale wollten jeweils zeigen, dass sie die besseren Italiener sind. Aber das ist letztendlich ein Spiel. Ich glaube nicht, dass im Wahlkampf althergebrachte ethnische Konflikte wieder aufgebrochen sind.

Das dahinter liegende, wahre Problem liegt im politischen System: Im Südtiroler Konkordanzmodell wird eine maximale Einbindung aller Sprachgruppen in die Entscheidungsbefugnisse angestrebt. Andererseits kann man die Antiautonomiepartei Alleanza Nazionale nicht in die Landesregierung nehmen. Das bedeutet, dass 70 Prozent der italienischen Zivilgesellschaft in den Entscheidungsgremien nicht vertreten sind. Das ist ein Systembruch, damit kommt die gesamte Autonomie ins Rutschen. Da schwelt es, weil die Leute sich einfach nicht vertreten fühlen.

STANDARD: Ein anderes System ist jenes der "Sammelpartei" SVP, das ein Defizit an innerer Demokratie im Land bedingt.
Pallaver: Natürlich herrscht die SVP über das Land in einem Ausmaß, das weit über ihre numerische Vertretung im Landtag hinausgeht. Südtirol bekommt weit mehr Geld vom Staat Italien, als an Steuern nach Rom abgeführt werden. Die SVP ist sozusagen eine Verteilungsagentur dieses geschenkten Wohlstandes.

Unter der Decke der Prosperität regen sich allerdings Bedürfnisse, auf die alle Parteien im Land bisher den Deckel gehalten haben. Untersuchungen weisen nach, dass es etwa ein breites Bedürfnis nach einem engeren Zusammenleben gibt. Der Deckel des Systems verwehrt den Menschen das allerdings.

Von vielen wird auch die über dem Land hängende Selbstbezogenheit negativ erfahren. Es wird zwar immer von Europa geredet - anstatt sich aber nach Europa zu öffnen, gibt es eine Einengung der Perspektiven. Deswegen emanzipieren sich etwa viele in den höheren deutschsprachigen Bildungsschichten von der Glucke SVP. S TANDARD : Tatsächlich liegt die SVP in den Umfragen nur knapp über der Absoluten. Pallaver: Es wäre nicht das erste Mal, dass die SVP nur schwer über die 50 Prozent kommt. Das war schon 1993 so. Das Stammwählerpotenzial der Partei schrumpft. Der Wahlausgang wird diesmal noch stärker als bisher an der Wahlbeteiligung hängen. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.10.2003)