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John de Chastelain

foto: apa/epa/west
Der 65-jährige kanadische General a. D. John de Chastelain hat eine eigenartige Nebenbeschäftigung: Einmal im Jahr (erstmals im Oktober 2001, dann wieder im April 2002 und diese Woche erneut) besucht er inkognito einen gottverlassenen Flecken auf der irischen Insel, um zuzuschauen, wie die Irisch-Republikanische Armee (IRA) einen Teil ihres umfangreichen Waffenarsenals unschädlich macht. Er zählt und notiert. Niemand weiß, was dann geschieht.

Ein Betonpfropfen auf einem unterirdischen Bunker? Rätselhaft. De Chastelain aber stellt sich dann vor die Mikrofone der Weltpresse und gibt sein Zeugnis ab: Er spricht dann nur sibyllinisch von "nennenswerten" oder "beträchtlichen" Mengen und überlässt den Rest der Fantasie seiner Zuhörer. Einmal ließ er sich fast zu einer Indiskretion hinreißen. "Mehr als eine Unze Sprengstoff, mehr als eine Kugel" habe er zu entsorgen geholfen.

John de Chastelain wurde als britischer Staatsbürger in Rumänien geboren. Sein Vater arbeitete dort für den britischen Geheimdienst MI6. Nach Schulen in Schottland und England wanderte der junge John als 18-Jähriger nach Kanada aus, um Soldat zu werden. 1989 krönte er seine Karriere als Generalstabschef, zuvor hatte er ein Jahr als kanadischer Botschafter in Washington gedient.

Ein Fleck bleibt aus jener Zeit: Während einer UNO-Mission in Somalia verprügelten kanadische Luftlandetruppen einen somalischen Jugendlichen so brutal, dass er starb. Doch der Generalstabschef wurde dafür nie gerügt. Der wortkarge, steife Offizier gilt als zuverlässig, diskret und humorlos. Seine nordirischen Verpflichtungen reichen weit zurück: Im Schlepptau des ehemaligen US-Senators George Mitchell, der schließlich die Nordirlandverhandlungen leitete, wurde er schon 1995 gebeten, Schiedsrichter bei der umstrittenen Entwaffnung der paramilitärischen Verbände zu spielen.

1997 wurde er offiziell von der britischen und der irischen Regierung an die Spitze der Internationalen Entwaffnungskommission berufen - nur um vier Jahre lang Däumchen zu drehen, weil niemand abrüsten wollte.

Die mangelnde "Transparenz" der jüngsten Abrüstung beruht indessen nicht auf de Chastelains Schweigsamkeit: Das Gesetz erlaubt es der IRA wie auch jeder anderen Untergrundorganisation, Vertraulichkeit zu verlangen. Der Offizier und Gentleman de Chastelain fühlt sich gebunden. Er hat zwar dem irischen und dem britischen Premierminister Einzelheiten erzählt, aber auch diese sind geknebelt.

Irische Zeitungen wollten am Mittwoch wissen, dass die IRA nun sämtliche schweren Waffen und ein Großteil ihrer Sprengstoffvorräte beseitigt habe. Aber der martialische Stolz der IRA verhindert es, dass das publik wird. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 23.10.2003)