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Der in Wien lebende Autor Peter Henisch veröffentlichte zuletzt den Roman "Schwarzer Peter"

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER
Innenminister Strasser, höre ich, macht Politik aus christlicher Verantwortung. Das ist eine Verantwortung, die andere Christen manchmal vermissen lassen. Lässt Nationalratspräsident Khol durchblicken, lächelnd wie ein Katechet vom alten Schlag. Die von der Caritas sind halt naive Chaoten.

"Zeit im Bild 2" - Herr Wolf setzt für gewöhnlich noch mit einer Frage nach, diesmal leider nicht. Man kommt auf anderes zu sprechen, die Verantwortung des Finanzministers zum Beispiel, aber der ist ohnehin jenseits von Gut und Böse. Also keine Verantwortung, auch keine christliche. Bei einem wie ihm verkümmern keine christlich-sozialen Wurzeln. So was hat der nicht, so was braucht der nicht. Hauptsache, er beherrscht seine Rechenkunststücke.

Fruchtzwerge

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen - sagt das Khol im TV, oder sagt das am nächsten Tag der gutartige Herr Leitl im Radio? Nein, wenn ich mich recht erinnere, war von den Früchten die Rede, an denen man die Arbeit des Finanzministers messen soll. Vielleicht wäre das Wort "wägen" in diesem Assoziationszusammenhang zielführender. Gewogen und für zu leicht befunden. Aber das hat weder Khol noch Leitl gesagt.

Es war einmal eine sich nach wie vor christlich gebärdende Partei, die vergaß, was Nächstenliebe ist. Zwar wollten der von ihr gestellte 1. Nationalratspräsident den lieben Gott in der Verfassung stehen haben, und der Bundeskanzler hatte sich nicht geniert, in St. Stephan Propaganda für seine Politik zu machen. Und die Frauenministerin hatte, ohne zu erröten, Gott einen Beitrag zur Wiederwahl ihrer Partei und damit jenes allerchristlichsten Kanzlers unterstellt. Aber mit der Nächstenliebe, die naive und, seien wir doch ehrlich, ein bissel anarchistische Gemüter wie die Herren Küberl und Landau nach wie vor für den Zentralbegriff des Christentums hielten, konnte man es natürlich nicht ganz so ernst nehmen.

Da war übrigens auch eine sozialdemokratische Partei, die beinah vergessen hatte, was Solidarität ist. Aber das nur nebenbei. Diese Partei war nicht mehr an der Regierung. Nächstenliebe, Solidarität - im Jargon einer Generation, der unausgesetzt eingeredet wird, dass sie sich auf der Überholspur bewegen muss, sind das vielleicht ehrwürdige, aber obsolete Ansprüche. Nicht kompatibel mit den Anforderungen realistisch betriebener Politik.

Speed kills - so christliche Sprüche macht man sich zum Motto, wenn es um die Macht geht. Nächstenliebe? Wenn man sich mit ihrer Theorie befasst, studiert man wahrscheinlich ein Orchideenfach. Und die Praxis? Na ja, in der Praxis ist alles ganz anders. Da muss man vor allem rechnen, auch wenn man nicht Finanz-, sondern Innenminister ist - die Caritas und die Verfassungsrichter sollen die Kirche im Dorf lassen.

Dorthin, in jenes Dorf, macht man dann vielleicht seinen Sonntagsausflug. Exkursionen der Regierungsmannschaft sind ja schon da gewesen, vielleicht sollte man demnächst wieder so etwas ansetzen. Womöglich im Advent, wenn die Herbergssuchenden wieder ein bisschen deutlicher frieren. Als Autor darf ich die rechtzeitige Lektüre eines guten Buchs empfehlen. Wie wär's mit dem Neuen Testament, es enthält interessante Stellen. Matthäus 25 zum Beispiel. Eine spannende Passage. Die Scheidung der Gerechten von den Ungerechten am Ende der Tage. Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, heißt es da, habt ihr mir getan. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 22.10.2003)