Foto: Landestheater Linz
Mit der Linzer Uraufführung von Werner Fritschs "Hydra Krieg" wird die Frage nach der Darstellbarkeit des Grauens weise und umrissscharf gelöst: mit theatralischer Enthaltsamkeit.


Linz – Mit der Verpflanzung des Kriegs in die Herzländer der Globalisierung, in ihre Machtzentralen mit den bekanntermaßen verwundbaren Türmen und Hochhäusern, hat die Vokabel des "Hinterlandes" ihren Sinn eingebüßt. Aber erst die sühnende US- Kampagne gegen den Terrorismus (wahlweise: gegen das "Böse") entbehrt trotz CNN- Reports und Network-Einsatzes jeder Anschaulichkeit.

Wer wie der Oberpfälzer Dramatiker Werner Fritsch die bestürzenden Kriegsschrecken des noch blutjungen 21. Jahrhunderts in haltbare Worte zu fassen, in geradezu manische Beschwörungsformeln zu bannen versucht, ersetzt die verstörend unsinnliche Erfahrung aktueller Berichterstattung durch die altehrwürdigsten Theatermittel. Zugleich kippt Aufklärung in den Mythos zurück: Wer den Terror nicht zu fassen kriegt, muss wenigstens das Knirschen des Pulvers noch zwischen den Zähnen haben.

Es bleibt der unbehagliche Genuss des zweiten Hochkochens und brühwarmen Nachschmeckens. In Hydra Krieg in den Kammerspielen des Linzer Landestheaters bricht statt des Krieges die Zeit der inspirierten Wahrseher an: der Bunkerkiebitze, der komatösen Choleriker, der Verfinsterten und Versehrten. Fritsch verpflanzt den Argo-Fahrer Jason (Alexander Swoboda) als Präsidentensohn nach Babylon, wo er mit der schönen Wilden Medea (Nicole Coulibaly) und dem poetischen Modernismusverlierer Orpheus (Karl M. Sibelius) den wohlstandsnärrischen Locken-Softie mit fliehender Stirn gibt.

Diese Party-Clique spricht sanft drogenberauscht eine Art grauschimmeliges Hans- Henny-Jahnn-Deutsch ("Knorpel, verkrustet mit der Scheiße Jenseitiger..."), während man auf der hochgewölbten Spindel eines durchgeschnittenen Mühlrads (Bühne: Anne Neuser) sozusagen letzte Lockerungen übt: Hinfallübungen. Es fehlt im Grunde nur die Musik von Pink Floyd, und die Wiederkunft des gegenkulturellen Aussteigertums wäre in Linz, wo ja alles Mögliche beginnt, beschlossene Modesache.

Aber mit geradezu staunenswerter Hartnäckigkeit starrt Gerhard Willerts Inszenierung auf den leeren Fleck in der eingeschwärzten Mitte gegenwärtiger Kriegsbetrachtung. Mit Brechtschem Ehrgeiz vermeidet er jede Illustration der Gräuel, die Fritsch in Brunstgewittern niederregnen lässt ("Ich liebkose das Licht auf deinen tigeräugigen Brüsten"). Jason wird nach Afghanistan verschickt, wo er marodierend und luftpistolenpustend den Krieg als bewusstseinserweiternden Rausch erfährt. Seine Gliedmaßen fliegen gen Himmel, und der (angebliche überlebende) G.I. kehrt als muslimischer Gotteskrieger wieder: um Schrecken zu pflanzen im Herz der Hure Babylon.

Die Schauspieler bemächtigen sich der einzelnen Szenchen und Episödchen wie eines postmodern überarbeiteten Grimmelshausen: Turnen unter dem saueren Kitsch einfach weg. Brechen die Bin-Laden-Klischees, indem sie noch das Binden eines Turbans (Stefan Matousch) als nüchterne Etüde vorführen. Willert wählt die Kargheit des Theaters – und speckt Fritschs bedeutungsfette Wortpölster behände tänzelnd ab.

Der wahre Glutkern dieser merkwürdigen, aber absolut bemerkenswerten Uraufführung liegt aber in der Aura der erlebten Zeit. Statt, wie gefordert, einen Chor auf die Bühne zu wuchten, trippelt die fragile Brecht-Schauspielerin Käthe Reichel einsam an ein Holzpult – und rezitiert unter ihrer Baskenmütze mit zarter, verhuschter Stimme Fritschs arg wollüstige Meuchelerzählungen über versteckte Zündkapseln und explodierende Kinder, als ob sie nur alle Schrecken des 20. Jahrhunderts auflisten müsste, um gegenüber der unleidlichen Gegenwart Recht zu behalten. Altvater Brecht hätte vielleicht weise gelächelt – auch über die vereinzelten Buhrufer, die dem Team doch einiges Unrecht taten. (DER STANDARD, Printausgabe, 21. 10.2003)