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Führte Bosnien in die Unabhängigkeit: Alija Izetbegovic

Foto: APA/EPA/David Thomson
Sarajewo - Der erste Präsident des unabhängigen Bosnien-Herzegowina, Alija Izetbegovic, ist tot. Er erlag am Sonntag einem Herzleiden, wie das Krankenhaus in Sarajewo mitteilte. Izetbegovic, am 8. August 1925 im nordbosnischen Bosanski Samac an der Save geboren und in Sarajewo aufgewachsen, war der erste Präsident des im April 1992 international anerkannten Staates Bosnien-Herzegowina.

An der Spitze der früheren jugoslawischen Teilrepublik stand der praktizierende Moslem von 1990 bis 2000, auch wenn die bei den Dayton-Friedensverhandlungen 1995 verabschiedete Verfassung dafür sorgte, dass er dieses Amt im bosnischen Gesamtpräsidium später im Wechsel mit seinem kroatischen und serbischen Kollegen bekleiden musste.

"Vater der Unabhängigkeit"

Für die bosnischen Moslems ist Izetbegovic der "Vater der Unabhängigkeit". Er war es, der das Land mit vier Millionen Einwohnern nach dem Zerfall des sozialistischen Jugoslawien Titos in die Unabhängigkeit führte. Voriges Jahr zeichnete ihn das "Dubai International Holy Quran Award" als "Islamische Persönlichkeit des Jahres" aus. Historisch umstritten bleibt jedoch die Frage nach Izetbegovics Rolle während des blutigen Bosnien-Krieges (1992-1995), der unmittelbar nach der internationalen Anerkennung des Landes im April 1992 ausbrach.

Der Verfasser der 1970 veröffentlichten "Islamischen Deklaration" war als einziger der sechs ersten postsozialistischen Präsidenten der jugoslawischen Teilrepubliken nie Mitglied im Bund der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ), sondern hatte Zeit seines Lebens offen für eine Stärkung des religiösen Elements unter den 1974 von Tito als sechste jugoslawische Nation anerkannten bosnischen Moslems geworben.

Rückbesinnung auf moslemische Identität

Mit seiner 1970 erschienenen "Islamischen Deklaration" hatte Izetbegovic den Grundstein für die Rückbesinnung auf die moslemische Identität gelegt. Der Begriff "ethnischer Moslem" war im kommunistischen Jugoslawien erstmals anlässlich der Volkszählung 1961 eingeführt worden. In Titos Vielvölkerstaat wurde damit eine Konfession zur "Nation".

Die Gründung der Partei der Demokratischen Aktion (SDA) im Mai 1990 hatte einen panislamistischen Hintergrund. Maßgebliche Proponenten waren Überlebende der in den 30er Jahren entstandenen Organisation "Junge Muslime", die nach 1945 unter dem kommunistischen Regime zerschlagen wurde. Ihr politisches Fernziel war ein moslemischer Balkanstaat. Dies warfen ihm Serbien und Kroatien immer wieder vor. Aber auch bosnisch-moslemisch Mitstreiter des studierten Ökonomen und Juristen wandten sich vor oder im Laufe des Krieges von Izetbegovic ab, weil sie das religiöse Programm der SDA ablehnten.

Vergleiche mit Mao Tse-Tung

Der amerikanische Balkan-Sondergesandte, Richard Holbrooke, der die Federführung über die im November 1995 auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Dayton (Ohio) geführten Friedensverhandlungen inne hatte, bezeichnete Izetbegovic in seinen Dayton-Memoiren als das eigentliche Hindernis auf dem Weg zu einer Beendigung des Krieges: "Er erinnerte mich ein wenig an Mao Tse-Tung und andere radikale chinesische Kommunistenführer - seine Fähigkeiten als Revolutionär waren umgekehrt proportional zu seinen Fähigkeiten als Regierungschef", schrieb Holbrooke in "Meine Mission. Vom Krieg zum Frieden in Bosnien".

Der damalige US-Außenminister Warren Christopher bezeichnete Izetbegovics Verhandlungsführung als "unklar, unrealistisch und nachlässig". Haris Siladjzic, bis zum Kriegsende Ministerpräsident unter Izetbegovic, verließ kurze Zeit später wegen Meinungsverschiedenheiten dessen SDA und gründete die weniger religiös geprägte Partei für Bosnien-Herzegowina.

Verhaftung nach zweitem Weltkrieg

Izetbegovic war bereits nach Ende des Zweiten Weltkrieges wegen "panislamischer Aktivitäten" verhaftet und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Nach seiner Entlassung stand er über vierzig Jahre lang unter Beobachtung der Polizei und wurde 1983 zusammen mit einer Gruppe von moslemischen Intellektuellen erneut verhaftet. Als Grundlage für seine Verurteilung zu 14 Jahren Gefängnis dienten Passagen aus der "Islamischen Deklaration", in denen er laut Gericht den Aufbau eines islamischen Staates propagierte. (APA)