Als Courtney Love im renommierten Onlinemagazin Salon.com im Mai 2000 das Musikbusiness mit konkreten Zahlen angriff, erntete sie in erster Linie erstaunte Reaktionen. In diesem meistabgerufenen Salon.com-Artikel aller Zeiten, der von zahlreichen Magazinen und Zeitschriften kommentiert wurde, beschwerte sich die Witwe Kurt Cobains über unfaire Vertragsbedingungen und schmutzigen Lobbyismus der Musikindustrie. Selbst im Falle eines großen Erfolgs, demonstrierte sie am Beispiel einer fiktiven Band, könne diese kaum Einnahmen durch Plattenverkäufe erzielen. Bei zwei Millionen verkauften Platten und somit zwei Millionen Dollar an auszahlbaren Tantiemen würde die Plattenfirma zwei Millionen für Videoproduktion und Promotion-Ausgaben gegenverrechnen. Die Plattenfirma hat an dem Deal 6,6 Millionen Dollar verdient, die Band könne "genauso gut im Supermarkt arbeiten".

Das Kleingedruckte

Kann das stimmen, fragt sich der CD-Käufer und MTV-Konsument, der an Homestorys über seine Stars in geschmacklos, aber teuer eingerichteten Villen denkt? Die verrechenbaren Kosten, bekräftigt der Entertainment-Anwalt Whitney Broussard, dessen New Yorker Kanzlei unter anderem die Fugees und den Wu-Tang Clan vertritt, stellen für Musiker das Hauptproblem eines Plattenvertrags dar. Zu Beginn einer Vertragsbeziehung bekommt der Künstler einen Vorschuss, danach gibt es erst wieder Geld, wenn die Plattenverkäufe sowohl den Vorschuss als auch alle vom Musiker zu übernehmenden Ausgaben wieder eingebracht haben. Nicht berücksichtigt in diesen Überlegungen ist das Kleingedruckte, das mit weiteren Fallen aufwartet. So erklärte Backstreet-Boys-Mitglied Kevin Richardson voriges Jahr bei einem Hearing vor dem kalifornischen Senat, dass seine Band zwar 70 Millionen Platten verkauft, aber immer noch Schulden bei ihrem Label habe.

Skepsis

Als gelernter Österreicher bleibt man bei solchen Aussagen dennoch skeptisch, ist man mit dem Jammern der gut Verdienenden, die sich vor der Finanz klein machen, doch aufgewachsen. Diese Skepsis weicht, wenn man selbst in Geschäftsbeziehungen zu Major-Labels tritt. Für die Zusammenstellung einer Compilation, an sich eine Dienstleistung, bei der nur die Höhe der Beteiligung pro verkaufter CD zu regeln wäre, schickte mir das deutsche Stammhaus im Jahre 2003 einen sechsseitigen Vertragsentwurf mit jeder Menge Kleingedrucktem zu, darunter ein Passus, dass im Falle einer ungenügenden Rechteklärung ich die Kosten des möglicherweise daraus resultierenden Rechtsstreits zu tragen hätte. Entweder verkauft man seine Großmutter, oder man engagiert einen Rechtsanwalt zum Durchackern des Vertrags, dessen Honorar dann mehr Kosten verursacht, als die CD je einbringen könnte.

"Wenn man Plattenverträge Anwälten zeigt, die nicht in dieser Industrie arbeiten, dann können sie nicht verstehen, dass jemand so etwas unterschreiben würde": Auch dieses griffige Statement von Jenny Toomey, Mitbegründerin einer Non-Profit-Organisation, die sich für die Rechte von Musikern in einer sich verändernden Branche einsetzt, findet sich neben der Empörung Courtney Loves und der kühlen Analyse des Anwalts Whitney Broussard in Mix, Burn & R.I.P., Janko Röttgers fulminantem Buch (vgl. den Apple-Slogan im Interview unten).

Filesharing und Download-Piraterie

Wenn auch die Einschätzung des in Los Angeles lebenden deutschen Musikjournalisten vom nahen Ruhen in Frieden etwas zu pessimistisch erscheint, so liefern die von ihm zusammengetragenen Einschätzungen höchst substanzielle Grundlagen für die weitere Diskussion um die Musikindustrie. Filesharing und Download-Piraterie, das wird ziemlich schnell klar, sind bei weitem nicht das einzige Problem des Musikbusiness. Die Computerspielindustrie wächst, und das, obwohl auch deren Produkte kopier-und herunterladbar sind. Bei den jetzigen Strukturen der Musikindustrie sehen 95 Prozent der Musiker, die bei den fünf großen Plattenfirmen unter Vertrag stehen, nach ihrem Vorschuss nie wieder Geld von ihrer Plattenfirma - weil 95 Prozent ihrer Alben nicht profitabel sind. Kein Wunder also, dass selbst bekannte Musiker wie Robbie Williams neuen Online-Geschäftsmodellen gegenüber nicht abgeneigt sind. Piraterie legalisieren, Pauschalabgaben einführen, Copyright ändern, Musiker anstellen? Wer immer da mitreden will, sollte dieses exzellent recherchierte Buch gelesen haben.

Janko Röttgers, Mix, Burn & R.I.P. - Das Ende der Musikindustrie. € 16,50/183 Seiten, Verlag Heinz Heise, Hannover 2003

Weiterführende Gedanken und Diskussion zum Buch: mixburnrip.de (Der Standard Printausgabe 18/19.10.03, Wolfgang Ritschl)