AEine Tote am Beginn eines Kriminalromans ist noch nichts allzu ungewöhnliches. Allerdings handelt es sich in Eismond um kein erstes Opfer von Gewalt, sondern um Sanna, die Frau des Polizisten Kimmo Joentaa, die einer kurzen, schweren Krankheit erliegt.

Es ist ein trauriger, sehr intimer Moment am Bett eines Krankenhauses in der finnischen Stadt Turku: Ein Puls hört zu schlagen auf, und von da an ist Joentaa wie verwandelt. Der Tod Sannas ist für ihn unbegreifbar, aber die Erfahrung des Sterbens schärft sein Auffassungsvermögen für Zusammenhänge, die anderen verborgen bleiben.

Der junge Deutsche Jan Costin Wagner, der bereits mit seinem Debüt Nachtfahrt mit dem Marlowe-Preis ausgezeichnet wurde, variiert in Eismond auf ungewöhnliche Weise ein klassisches Motiv der Detektivgeschichte: Ein Täter und sein Verfolger stehen sich darin nahe, weil sie der Tod betäubt hat. Dieses metaphysische Band verbindet die Handlung des Wissens und jene der Tuns in einer gemeinsamen Welt.

Wagner geht es damit weniger um die Auflösung einer Mordserie und die Erfüllung einer Spannungsformel. Vielmehr zeichnet er die Porträts zweier Einzelgänger, fühlt sich in kargen, knappen Sätzen, die mitunter wie eine Art innerer Monolog arrangiert sind, in deren subjektiven Wahrnehmungsraum ein.

Dieses Verfahren gelingt beim trauernden Polizisten, der sich in die Arbeit stürzt, um seinen Schmerz zu vergessen, besonders gut: Fast jeder seiner unberechenbaren Schritte steht in Verbindung zu Sannas Tod, bei jeder Kleinigkeit holt ihn die Erinnerung an die Verstorbene ein - und kein anderer als der anonyme Täter vermag diesen Zustand mit ihm zu teilen. Letzteren führt Wagner schon zu einem frühen Zeitpunkt ein. Das ermöglicht ihm, die Perspektiven ständig zu verlagern: Die Darstellung des Innenleben dieses Psychotikers, eines überängstlichen Zeitgenossen, der davon träumt, seine Freiheit in einer Art Unsichtbarkeit zu finden, krankt jedoch an einer allzu metaphernreichen Sprache, die anders als der lakonische Realismus der Polizisten bald einmal ermüdet. Seine Taten sprechen ohnehin für sich: Scheinbar willkürlich sucht er sich Menschen aus, um sie im Schlaf, fast zärtlich, zu ersticken. Da ist es natürlich Joentaa, der in den Fällen als erster einen Zusammenhang erkennt. Intuitiv erfasst er die jeweiligen Situationen, den Gedankengang des Mörders.

Dass dieses Geschehen nicht zu konstruiert wirkt, liegt auch an Wagners Beschreibung des kleinstädtischen Milieus von Turku - vor allem das Arbeitsumfeld Joentaas, die schrulligen Polizistenkollegen, sein mürrischer Vorgesetzte Ketola, aber auch eine Fülle an Nebenfiguren geben dem Roman die Basis einer erfahrbaren Realität. Und natürlich passt die Kälte von Finnland hervorragend zu einer Geschichte über den Affekt des Todes. []

Jan Costin Wagner, Eismond, €20,60/306 Seiten.
Eichborn, Frankfurt am Main 2003