Wien - "Ja, ich habe mich bereits beworben. Warum sollte ich das verschweigen?" - Wenige Tage nach der offiziellen Ausschreibung der künstlerischen Direktion des Volkstheater Wien ab der Saison 2005/06 legt auch Michael Schottenberg die Karten auf den Tisch. Im Interview äußert sich der Regisseur, der im kommenden Frühjahr im Haus am Weghuberpark Bertolt Brechts "Mutter Courage" inszenieren wird, erstmals detailliert über seine Pläne.

Zuletzt war häufig zu hören, dass das Volkstheater zu allererst eine kräftige Finanzierungsspritze brauche. "Es melden sich da auch Leute zu Wort, die weder an diesem Theater arbeiten noch je gearbeitet haben, die das Haus gewöhnlich nicht einmal betreten", ärgert sich Schottenberg, "In dieser Branche wimmelt es nur so von Auguren und Einflüsterern, die, selbst mit üppigen Budgets ausgestattet, oftmals Fantasie durch Geld ersetzen und jene, die ihren Mut öffentlich machen und sich fürs Volkstheater interessieren, im vorhinein genüsslich desavouieren - um der hastigen Wortmeldung willen, die mehr Irritation hervorruft, als dass sie zum konstruktiven Dialog führt."

Fantasie und Budget-Realismus

"Ich habe in meinem Leben schon sehr oft Budgets gehabt, mit denen man eigentlich nicht auskommen konnte, und ich bin doch ausgekommen", versichert der Skraup-Preisträger, "Wenn man weiß, man hat nur so viel Geld zur Verfügung, dann kann man entweder arrogant mehr fordern - oder sich mit Fantasie, dem nötigen Willen und Mut daran machen. Das ist meine Richtung."

Auch die Größe des Hauses oder die mangelnde Schräge des Zuschauer-Parketts wird oft als Handicap empfunden. "Das Problem des Zuschauerraums sehe ich nicht so krass", meint Schottenberg dazu, "Ich meine, dass man mit Fantasie und Mut und Qualität des Spielplans versuchen sollte, das große Haus zu füllen. Ich empfinde eher als Problem, dass das Theater keine zweite Bühne hat und man so die mittleren Stücke nicht bringen kann. Es gibt viele Stücke, die eigentlich nicht auf die riesige Bühne gehören. Und der mangelnde Platz für die Lagerung von Produktionen ist eines der Kernprobleme im Alltag." Als theoretische Variante sieht der Regisseur einen Abtausch: Aus der Probebühne in der Margaretenstraße ließe sich ein Spielraum von der Größe des Schauspielhauses machen, aus dem U3-Raum eine Probebühne in unmittelbarer Nähe zum Haupthaus.

Programmatisches

Auf die Frage nach seinem inhaltlichen Konzept streut Schottenberg zunächst der amtierenden Direktorin Rosen: "Emmy Werner hat mutige und tolle Jahre hingelegt und hat mit unglaublichem Enthusiasmus das Haus geführt. Ich glaube, man weiß, was ich bisher getan habe: Ich mache seit 20, 25 Jahren in dieser Stadt Theater - mit der Idee eines Ensembles, mit Sinnlichkeit, Erotik, mit politischer Haltung. Das sind auch künftig die Pfeiler: Theater, das frech ist, das aufzeigt und sich einmischt, das politisch einen Standort definiert, das Themen vorgibt, ein Theater, das den Mund voll nimmt."

Bei den Stücken wünscht sich Michael Schottenberg einerseits raschere Reaktionen von Autoren auf aktuelle Themen, auf der anderen Seite neben der Pflege moderner Volksstücke-Schreiber wie Wolfgang Bauer und Peter Turrini den Versuch von Wieder-Entdeckungen: "Das Volkstheater ist auch ein Theater, das sich bekennen soll zu den Verbrannten und Verbannten und aus dem Land getriebenen Autoren, Denkern und Philosophen. Von Joseph Roth über Werfel bis zu Hochwälder fallen mir viele ein."

"Überhaupt keine Scheu vor dem Volkstheater-Begriff"

Während er die Außenbezirks-Arbeit sehr konkret politisch positionieren und Projekte etwa mit arbeitslosen Jugendlichen oder Immigranten forcieren möchte, soll es im Haupthaus "bunt und scharf und sinnlich und intelligent" zugehen. Das reiche von Neusicht auf Klassiker bis zu Stücken aus Russland oder dem ehemaligen Österreich-Ungarn. "Es gibt etwa ganz unbekannte Stücke von Molnar, Horvath, Nestroy, ja sogar Wildgans. Und ich habe überhaupt keine Scheu vor dem Volkstheater-Begriff. Ich mache ja kein Theater für Hannover, sondern eines für Wien."

"Die Josefstadt versteht sich im Augenblick als österreichisches Westentaschl-Nationaltheater, die Burg betet das Jahresheft von 'Theater-heute' nach" ätzt Schottenberg, "Hier muss sich das Volkstheater eindeutig positionieren. Als ein Theater des Volkes, das sich seines sozialpolitischen Engagements, seines Bekenntnisses zu den Vertriebenen und Verbotenen, seiner Verpflichtung für neue Texte und seiner vorlauten, komödiantischen Tradition bewusst ist. Das heißt ja nicht, dass man pausenlos den Wurschtel auftreten lassen muss."

Ensemble

Eine der Schlüsselfragen sieht Schottenberg im Aufbau eines unverwechselbaren Ensembles: "Dem würde ich mich sehr widmen. Ein Theater lebt durch die Protagonisten, ihre Gesichter, ihre Stimmen. Das ist in Wien völlig auswechselbar geworden. Da gibt es viel zu tun!" (APA)