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Christina Aguilera während ihres Konzertauftrittes am 15. Oktober 2003 in der Stadthalle in Wien

FOTO: APA/ OCZERET
Christina Aguilera brachte mit einer von Madonna und Beate Uhse abgeschauten, offenbar rebellischen Teenager-Erotikshow die Wiener Stadthalle zum Kreischen.


Wien – Britney Spears, Shakira, Christina Aguilera: Eine der letzten Bastionen der Jugend, die noch nicht von ewig jungen Erwachsenen sturmreif geschossen worden ist, ist der offen gezeigte Bauchnabel. Er war während der letzten Jahre das letzte Rückzugsgebiet von Teenies, denen auf dem langen Weg von der Protestgeneration zur Generation X und schließlich ins freundliche Dodeltum der Love Parade ein wenig die Inhalte abhanden gekommen waren.

Deshalb brachten sie ihr bestehendes Recht aufs Anderssein aufgrund fehlender Zukunftsperspektiven in einer Welt, die vollgeräumt ist mit alten Leuten, die in ihrem Jugendwahn aussehen wie aufgepumpte Sechsjährige, über ihre Körper zum Ausdruck:

Intimzonen-Piercing, Po-Branding, Ohren-Stretching – Nasenring, Augenring, Nabelring. Und immer wieder: Zeigt her eure Bäuche! Das biologische Alter, der Übertritt von der Revolte im Kinderzimmer zum Friedenmachen mit "dem System" lässt sich heute einzig daran messen: Powerwalking im Fitnessstudio oder Sonntagsspaziergänge auf dem Hendlfriedhof.

Christina Aguilera, eine junge Mutter Courage aus dem Pornoladen, rammt ihren im von Donatella Versace knapp bemessenen Leder-, Latex- und Luderdress scharf gemachten Nabel gleich von Beginn weg mit größter Vehemenz in die Halle. Das führt nicht nur zu beglücktem Kreischen bei der minderjährigen Zielgruppe. Am Rand wippen auch viele heute vor allem wegen der schönen Musik gekommene ältere Herren wohlwollend mit.

Immerhin bemüht sich die 22-jährige US-Sängerin gerade in einer ökonomischen Materialschlacht, ihren Ruf als harmloser Kinder- und Teeniestar aus dem amerikanischen Star Search und später als Kollegin von Britney Spears in The New Mickey Mouse Club loszuwerden, siehe: What A Girl Wants oder Genie In A Bottle.

Die mit zwei Hand voll Tänzer/Innen und etwas weniger Musikern präsentierte Verkaufsschau ihres aktuellen Albums Stripped brachte Tausenden Minderjährigen nicht nur jene geheimnisvolle Welt nahe, die sich hinter dem schwarzen Balken des Jugendverbots befindet.

Mit auf einem Andreaskreuz, an einem Maschendrahtzaun und unter heterosexuellen Matrosen simulierten Fortpflanzungsritualen und einer Rüstkammer, mit der man auch die Kampfszenen in Ben Hur als peitschenbetriebenen "Gang-Bang" im an Fetischfieber untergehenden römischen Reich ausstatten könnte, versucht Aguilera gerade auch, den Generationenvertrag überzuerfüllen. Übermutter Madonna, die Altmeisterin der Provokation im Pop, soll hier frühzeitig in den Ruhestand geschickt werden. Für die warme Suppe und die Biskotten will Tochter Christina sorgen.

Sex im Baumarkt

Die Praxis, im Sadomaso-Look heute selbst Scheibtruhen und Abflussrohre zu verkaufen, ist mittlerweile dank Reizüberflutung im Privatfernsehen zwar schon beinahe wieder Nostalgie. Wie man an den vielen älteren Herren im Saal aber sieht, kennt der Softporno keine Saison.

Ob dies nun revolutionär ist und aus der Selbstbestimmung einer starken jungen Frau heraus entstanden ist, die ihren Platz im Leben erst einmal mit hemmungslos ausgelebter Sexualität sucht – oder ob hier letztlich auch wieder nur plump versucht wird, mit feuchten Träumen schnelles Geld zu machen, liegt im Auge des jeweiligen Betrachters. Zwischen vor Begeisterung wegen so viel kämpferischer Obszönität kreischenden Kindern und vor Geilheit sabbernden Greisen liegt ein weites Feld.

Aguilera und ihr Beraterteam sind aber definitiv an einem gescheitert: Das in den Videos überlebensgroß aufgeblasene Ringen unserer Christina zwischen versautem Luder, selbstbestimmter Schlampe und sensibler Göre fällt ohne heiße Luft live wegen der fehlenden Bildschnitte und rasanten Kamerafahrten auf das zusammen, was es ist: Jazztanz mit Anfassen.

Stimmlich war die Heldin in Wien indisponiert oder doch generell wenig begabt. Vielleicht japste sie aber auch nur die ganze Zeit, weil ihr bei den vielen Kostümwechseln die Luft wegblieb. Singen ist Krieg. Friede dem Nabel! (DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2003)