Wien wäre perfekt. Das heißt: die Wiener Müllberge. Ein Traum! Kunstkurator Davis O. Nejo kommt fast schon ins Schwärmen, wenn er das heimische Potenzial für die Sperrmüll-Akrobaten von Subsahara-Land vorm geistigen Auge vorüberziehen lässt. Umgekehrt aber kommen Reisende, die es ins Afrikanische verschlägt, ebenso sehr ins Schwärmen, wenn sie der dort betriebenen, fantasievollen Weiterverwertung von industriellen Gütern gewahr werden.

In Kenia hatte ich vor kurzem das Vergnügen: Bierkronen als Spielsteine, flach geschlagene Blechkanister-Dächer, Plastiktaschen-Knäuel als Fußballersatz, und nicht zu vergessen: Massai-Krieger, die in selbst geschnipselten Autoreifen-Latschen am Jeep vorbeischlurfen und mit Kennerblick das Reifenprofil vergleichen - gibt der abgewetzte Reifengummi doch das Material für die nächste Winterkollektion her. Bemerkenswert war auch die Sprinkleranlage des Gärtners im Blumenbeet neben Finch Hattons Hippo-Pool: Eine gängige Plastikwasserflasche inspirierte den Mann zum Do-it-yourself-Design: Einfach viele feine Löcher in die Flasche stechen, der Gartenschlauch passt zufällig genau in die Flaschenöffnung, den Rest besorgt der Wasserdruck. Fertig ist das Billigsdorfer-Sprinklersystem.

Ewig unfertig ist hingegen die Geschichte des menschlichen Erfindergeistes, und das ist wohl gut so. "Genau", sagt jetzt auch der nigerianische Kunstkurator Nejo im Atelier in Wien-Wieden. "Genau das ist die Basis, Afrika ist voll von solchen Weiterverwertungen." Dann greift er in einen großen Karton und lässt statt sich lieber Coca-Cola weitersprechen. Und Fanta, Puntigamer, Heineken, überhaupt so gut wie jeden, der hierzulande mit Weißblech - vulgo Aludosen - präsent ist. Denn dieses Material stellt den Ausgangspunkt des von Nejo initiierten Recycling Art Workshops, mit dem er im vergangenen Jahr auf der Linzer Ars Electronica vertreten war.

Mit ihm kamen Mamadou Soumare aus Mali und Boubakar Ndiaye aus Senegal, zwei vor Ort aufgegabelte Jungtalente, denen Herr Nejo dieser Tage im Übrigen zwei, drei feine Blechscheren und ähnliches Gerät nach Westafrika schicken möchte. Jenes Werkzeug also, mit dem die beiden Burschen aus dünnwandigem Dosenblech ihre Wunschobjekte nachbilden: schnuckelige kleine Scooter, Helikopter, Videokameras, alles aus Blech und ein wenig Gummi, aber auch praktisch Verwendbares, wie Rucksäcke, Käppis, Lampenschirme oder Bilderrahmen, alles aus Bierdosenblech.

Das Pop-Art-Motiv der seriellen Wiederholung gibt's dabei als Draufgabe. Nicht zu vergessen den härteren Ethno-Stoff: Eine Maske aus giftig grünen Heineken-Dosen ergänzt das Sortiment. Ob vom Medizinmann persönlich empfohlen, bleibt in diesem Fall dahingestellt. Umso unmissverständlicher ist indessen anderes: Das skulpturale Raffinement, mit dem Nejos Schützlinge diverse (Konsum-)Objekte der westlichen Welt nachbilden und dabei Interesse evozieren, ist lediglich der handwerkliche Aspekt des "Recycling Art"-Projekts.

Dass es im gewaltigen Mahlstrom der kulturellen und historischen Begegnungen, im Getriebe der Zeiten und ihrer Fehler auf Grundsätzlicheres zu verweisen gilt - darum geht es dem Mann, der als Begründer der Kunstvermittlungsorganisationen @rtScreen und als Präsident von Cross Cultural Communication auf den interkulturellen Austausch Bedacht legt, vor allem. Was andererseits eines Tages die Zöllner eines reichen Landes überraschen könnte - nämlich dann, wenn Herr Nejo mit dem Werk eines anderen Künstlers, nämlich des Senegalesen Souyabou Kandji, zu einer Ausstellung verreisen sollte. "Öffnen Sie Ihren Koffer bitte!" - wenn die Beamten so fragen, dann mag die (Ein)sicht auf die Befindlichkeit unserer Welt nur zwei Schnallenklips weit entfernt liegen. Offeriert der Inhalt des von Herrn Nejo gelegentlich transportierten Kunstkoffers "Un-plugged suitcase" doch eine schier diabolische Komposition elektronischer Gebrauchsgüter, die das Meer an Afrikas Küsten gespült und der Künstler dort wieder eingesammelt hat: Trash vom Westen, elektronisches Treibgut, ein Labyrinth blinden Kabelwerks, das jeden Anschluss verloren hat, und mit Sicherheit auch die eine oder andere Batterie. Jetzt kommt es im Köfferchen verpackt aus Afrika zu uns zurück. (Der Standard/rondo/Robert Haidinger/17/10/2003)