Wien - 17. Februar, 12 Uhr mittags: Während sich das organisierte Verbrechen auf den Einkaufsstraßen Wiens scheinbar ungehindert ausbreitet, beginnt für einen 37-jährigen Spitzenbeamten des Außenministeriums die Mittagspause.

Schere beseitigt den Preiszettel

Da promeniert er, wie so oft, durch die Kärntner Straße. Zufällig hat er eine Beißzange und ein Messer dabei, als er sich in der Umkleidekabine des Kaufhauses Steffl findet. Er probiert einige Anzüge. Seine Wahl fällt auf ein Modell Hugo Boss, Größe 50. Preis: 449 Euro, aber eher nur symbolisch. Die Zange knackt den Code, die Schere beseitigt den Preiszettel. Alter Anzug und Wintermantel darüber, an der Kassa vorbei. Auf Wiederschauen. Da geht der Alarm los. Der Anzug war wirklich verdammt gut abgesichert.

Faustschlag

Der Beamte beschleunigt den Schritt. Ladendiebstahl - das kann sich vom Image her vielleicht ein Rumäne leisten, doch nicht er, der Spitzenjurist. Ein Detektiv nimmt die Verfolgung auf und holt den zu dick angezogenen Beamten ein. Der streckt ihn mit einem Faustschlag zu Boden. Aber da ist schon der Nächste, ein berüchtigter Hobbydetektiv, zur Stelle. Und der hat seine Handschellen dabei.

Fünf Anzüge

15. Oktober, neun Uhr, Wiener Landesgericht. Der karenzierte Ministerialbeamte erscheint in einer eleganten Wildlederjacke. "Wie viele Anzüge haben Sie eigentlich?", fragt ihn ein Schöffe. - "Fünf. Für jeden Werktag einen. Und einen Trachtenanzug", erwidert der Angeklagte. Gott, ist ihm dieser Prozess peinlich! "Und der von Hugo Boss hat Ihnen einfach gefallen", schätzt der Richter. "Ja, schon. Allerdings war er mir eine Nummer zu klein", gesteht der Beamte. Normal trägt er Größe 52.

Ein Jahr bedingt

Der Staatsanwalt verliert langsam seinen Glauben an das Gute. "Wir sind so etwas eher von georgischen Diebesbanden gewöhnt", sagt er zerknirscht. Nun, dem Beamten sei es damals nicht gut gegangen, seine Frau habe eine Fehlgeburt hinter sich gehabt. "Ich war kopflos in diesen Tagen." Das beweist auch eine ebenfalls inkriminierte Urkundenfälschung. Der Vater von drei Kindern hatte für zwei weitere Adoptivzöglinge falsche Meldezettel vorgelegt.

Der Schöffensenat verurteilt ihn wegen räuberischen Diebstahls zu einem Jahr bedingt. Im Ministerium läuft ein Disziplinarverfahren. (Daniel Glattauer, DER STANDARD Printausgabe 16.10.2003)