Uma Thurman in zweierlei Signalfarben

Foto: Buena Vista

Lange erwartet, überraschend in zwei Teile gesplittet, jetzt aber zumindest in Form eines "Volume 1" auch in den heimischen Kinos: Quentin Tarantinos "Kill Bill" – der ultimative Exploitation-Fan-Film – setzt oft auf die Farbe Blutrot.

Wien – Der Rachefeldzug in Kill Bill beginnt, als eine Frau aus ihrer vierjährigen Ohnmacht erwacht. Sie nimmt sich das, was sie zuerst zu fassen kriegt: Es ist ein Stück Zunge, das ein widerlicher Typ in ihren Mund steckt, während er sich gerade an ihr vergeht. Das reichlich durchblutete Organ setzt die erste Fontäne jenes Stoffs frei, den Quentin Tarantino in seinem vierten Film großzügig als Primärfarbstoff verwendet.

Später liegt der Mann am Türstock, zerschmettert von einer Rächerin (Uma Thurman), die noch waffenlos ist – der hässlichste Tod in einem Film, in dem das Sterben und das Töten prinzipiell schön sind, weil beide Vorgänge nur durchs Schwert getrennt sind, den Stahlfetisch in Kill Bill.

Die US-amerikanischen Gangster aus Reservoir Dogs und Pulp Fiction waren unkultivierte Kerle im Vergleich zu der Armada an fernöstlich und afrozentristisch orientierten Kämpfern, die sich hier auf allen Erdteilen die elegantesten und kältesten Gefechte liefern, seit das Kung-Fu-Fighting in den Siebzigerjahren im Westen populär wurde. Offen bleibt einzig die Frage, warum sie sich das antun.

Kommerzieller Druck

Kill Bill ist der erste Teil eines eigentlich dreistündigen Opus magnum, das von der Produktionsfirma Miramax für den Kinoeinsatz halbiert wurde. Volume 2 wird in einigen Wochen nachgeschoben werden, die näheren Umstände dieses Starts hängen auch davon ab, wie es Kill Bill Volume 1 kommerziell ergeht. Die Urszene wird jedenfalls erst der zweite Teil in voller Länge bringen: Einen Shoot- out in einer mexikanischen Kirche, bei dem eine Hochzeitsgesellschaft niedergemetzelt wird, von der nur die Braut überlebt, komatös und, wie sich am Ende herausstellt, mit intaktem Fötus im Leib.

Die kulturellen Koordinaten dieses Massakers bleiben im Dunkeln, ebenso wie die Identität des ominösen Bill. Es sieht aber stark danach aus, als würde auch die Fortsetzung wenig Aufklärung darüber bringen, von welchem Punkt aus Tarantino die Globalisierung seiner Pulp-Fiction-Methode betreibt.

Er überbietet in Kill Bill nahezu alle Spielarten des asiatischen Genrekinos (plus einige Anteile Italowestern), aber er tut dies in einem leeren Raum. Eine Schattenkampfszene vor blauem Hintergrund evoziert nicht von ungefähr einen berühmten James-Bond-Vorspann. Die von Uma Thurman gespielte Frau, die weniger eine Figur als ein Zeichen ist, bewegt sich ähnlich abstrakt durch die Welt, wie es der britische Geheimagent in den letzten Jahren getan hat. Landesgrenzen und spezifische Identitäten spielen keine Rolle mehr, die Stringenz einer Geschichte geht in einer Abfolge von Stunts verloren, die buchstäblich abgehakt werden.

Suche nach Stil

Tarantino organisiert dies alles jedoch auf eigene Rechnung, er hat keinen Apparat und keinen Geheimdienst hinter sich, ja nicht einmal Hollywood. Er agiert aus der ins Groteske aufgeblähten Position eines US-Independent, eines mit Daten vollgesogenen Subjekts, das nach einem Stil sucht und ihn am anderen Ende der Welt zu finden meint. (Auf der Ebene des Soundtracks, den The RZA vom Wu Tang Clan verantwortet, wiederholt sich diese Geschichte, jedoch mit gutem Ausgang: Kill Bill hat vermutlich die avancierteste Tonspur, die jemals im Kino zu hören war.)

Japan besetzt auf diesem Parcours die Stelle des Anderen. Hier taucht die Rächerin nach einem Zwischenspiel in Kalifornien auf, um sich ihr Schwert schmieden zu lassen. Hier trifft sie auf eine wichtige Gegenspielerin (Lucy Liu), die sich in der Tokioter Unterwelt ganz nach oben gearbeitet hat. Diese Vorgeschichte gestaltet Tarantino als Anime- Sequenz, er inkorporiert seinem Film damit auch noch das japanische Comic-Universum (und umgekehrt).

Wie im zweiten Teil von The Matrix jedoch dem messianischen Neo immer neue virtuelle Gegner nachwachsen, erstehen in Tarantinos Welt immer neue Referenzen auf noch eine Genre-Szene, noch eine Samurai-Pose, noch einen Trainingsanzug aus der großen Zeit des Exploitation- Films.

Daran arbeiten sich die Figuren gründlich ab, ihre Selbstinterpretation kommt dabei aber zu kurz. Sie fallen damit hinter das Prinzip von Pulp Fiction zurück, wo nicht mehr die Profis das Schweigen hatten: Das Geschwätz der Dilettanten dominierte.

Tarantino entwarf seine Genre-Helden als Epigonen, und ihre Arbeit als Diskurs. Damit begriff er seinen eigenen filmhistorischen Ort wie kein Zweiter, und als er in Jackie Brown begann, diese Idee mit spezifischen Beobachtungen des US-Alltags zu verbinden, zeichneten sich ungeahnte Möglichkeiten ab. Kill Bill löst davon nichts ein.

Raubzug. Bastard.

Der Film ist ein Raubzug, ein Bastard aus Zhang Yimous chinesischem Meta-Martial-Arts-Spektakel Hero und Charlie's Angels 2, der mit viel mehr Witz die Niederungen der populären Kultur durchquerte. Tarantino aber will hoch hinaus, er will die Internationale der Fans hinter sich sammeln, deswegen besteht sein Film zum Großteil aus Übersprungshandlungen.

Sie sind kompetent choreografiert, aber sie haben (noch?) keinen Ausgangsort und kein Ziel. Vielleicht liegt darin die symptomatische Qualität von Kill Bill: dass ein Außenseiter des amerikanischen Kinos sich die ganze Welt einverleibt und ein Epos gebiert, das von Beginn an im Koma liegt. Once upon a time in the middle of nowhere. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.10.2003)