"Taikong (Weltraum). Wir kommen!" - so überschrieb mit roten Schlagzeilen die Militärzeitung Junshi Bolanbao ihre Titelseite als Gruß an Chinas ersten bemannten Raumflieger in seinem "göttlichen Raumschiff" (Shenzhou).

Richtiger hätte es heißen müssen: Wir kommen wieder. Wenn es eine Großmacht in der Geschichte gab, die mit ihren fliegenden Objekten immer hoch hinaus wollte, dann war es das Reich der Mitte. Der Tischler Lu Ban bastelte vor mehr als 2500 Jahren einen Vogel aus Bambus. Nach der Mär flog dieser "ohne Unterlass drei Tage und drei Nächte am Himmel entlang".

Ming-Raketen

In der Ming-Dynastie im 15. Jahrhundert, während der 300 verschiedene Raketentypen entwickelt wurden, befestigte der Beamte Wan Hu an einem Stuhl zwei Riesendrachen und band dahinter 47 der stärksten Raketen seiner Zeit. Diener mit Fackeln entzündeten alle Raketen gleichzeitig und verhalfen Wan Hu so zum furiosen Start. Er verschwand in einem "Pilz aus Rauch und Feuer" (er explodierte).

Die parteieigene Volkszeitung erinnerte in dieser Woche an den genialen Bastler. International gilt er als Vorläufer der Raumfahrt.

Als technologischer Spätzünder in moderner Zeit verbrämt China sein Handicap gern mit mythischen Begriffen. Das von einer atheistischen Kommunistischen Partei regierte Land nennt seine Raumkapseln so "Shenzhou" (göttliche Schiffe, siehe oben).

Das ab dem Jahr 2010 geplante Mondprogramm trägt den Namen der Fee "Chang E" aus einer uralten Volkssage. Sie gelangte zwar durch die Antriebskraft eines Zauberelixiers bis auf den Mond. Dort blieb sie jedoch mit einem Hasen bis heute sitzen, weil sie keinen praktikablen Weg zur Rückkehr fand.

Ebenso gerne schmückt sich Chinas Raumfahrt mit revolutionären Begriffen. 1970 schossen die Chinesen zur hundertsten Wiederkehr von Lenins Geburtstag ihren ersten Satelliten mit einer Rakete vom Typ "Langer Marsch I" in eine Umlaufbahn. Bei jeder abgeschlossenen Erdumrundung sendete er die Propagandamelodie "Dong Fanghong" (Der Osten ist rot).

Hommage an Mao

Die 1957 entwickelten "Langer Marsch"-Raketen sind nach Mao Tsetungs berühmtem 12.000 Kilometer langen Fluchtmarsch seiner Guerillaarmeen 1936 benannt.

Seit 1985 bietet China für die gesamten Welt kommerzielle Satellitenstarts an. Dank Billigpreisen, Verfügbarkeit und relativ robuster Technik hat sich China als aggressiver Anbieter auf dem Weltmarkt durchgesetzt.

Eine Unfallserie in den 90er-Jahren änderte nichts daran. Das schwerste Desaster ließ 1996 eine Rakete beim Jungfernflug nach 21 Sekunden explodieren. Sechs Menschen wurden am Boden durch die Trümmer getötet. Der von der Rakete beförderte 115 Millionen Euro teure Satellit (Intelsat) wurde zerstört. Seit 1996 sind aber alle 28 Starts pannenfrei verlaufen.

Blick auf die Mauer

Auch die vier unbemannten Raumflüge der Shenzhou-Serie seit 1999 wurden mit der "Langer Marsch"-Rakete gestartet. Von den 14 Staatsastronauten, darunter den beiden 1996 in Moskau ausgebildeten Li Qinlong und Wu Jie, wird nur einer mit der Shenzhou V fliegen können.

Peking verschweigt nicht, wie viel Erfahrungen es nachzuholen hat. 951-mal schwebten bisher Russen, Amerikaner und Raumfahrer aus 20 Nationen in 240 Missionen seit dem ersten Raumflug Yuri Gagarins 1961 im All.

Chinas erster eigener Taikonaut erfüllt nicht nur ein nationales Anliegen nach Prestige und Weltmachtgeltung, sondern soll auch eine Antwort auf die nationale Jahrhundertfrage geben. Seit 1909 geistert eine zuerst in den USA aufgestellte und weltweit nacherzählte Behauptung um den Globus, wonach man die Große Chinesische Mauer vom Mond oder aus dem All erkennen kann. Mehrere Astronauten (aber das waren alles westliche) bestreiten das. Der erste Taikonaut im All soll nun Gewisseheit bringen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 10. 2003)