Foto: Viennale
Ein tragikomisches Porträt zweier Männer am Rande zur Sinnkrise gestaltet der türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan mit seinem auch in Cannes erfolgreichen "Uzak" - einem der schönsten Spielfilme der diesjährigen Viennale.


Ein Dorf im Hinterland, eine Landstraße, die in einer einzigen, von den Geräuschen eines erwachenden Wintertages erfüllten Totalen schwer überbrückbare Distanzen bebildert; schließlich: Ein junger Mann, der aus seinem Heimatort geradezu zu fliehen scheint - von einer Desparation in die nächste: In Istanbul will er endlich wieder Arbeit finden und bei seinem Cousin Unterkunft.

In nur wenigen Minuten etabliert der türkische Regisseur Nuri Bilge Ceylan also die Spannungsverhältnisse, aus denen sein Film Uzak eine schwelende Unruhe entwickelt (auch wenn seine Protagonisten denkbar stoisch durch den Schneematsch stapfen): Ländliche Hoffnung gegen urbane Desillusioniertheit, Tradition gegen Entfremdung, Proletariat gegen Kunst-und Medienbetrieb. Der Cousin in Istanbul ist nämlich Fotograf, aus sexueller Frustration flüchtet er sich gern in käufliche Liebe, insgesamt atmet seine Wohnung ein wenig den ranzigen Mief eines mit sich allein Gelassenen.

Dialog: mühsam

Dieser weigert sich nun leider konsequent, so etwas wie einen Dialog, ein solidarisches Miteinander mit seinem Verwandten vom Land wirklich zuzulassen. Uzak wird darüber zuallererst einmal zu einem virtuosen kalten Kleinkrieg, wie ihn wohl nur Männer betreiben können, wenn sie sich einander so richtig auf die Nerven gehen. Höhepunkt: Demonstrative Langeweile bei einem gemeinsamen Videoabend mit Stalker von Andrej Tarkowski, bei dem der eine nur darauf wartet, dass der andere, der Tarkowski nicht ganz so spannend findet, endlich ins Bett geht - damit er sich wiederum einen Pornofilm ansehen kann.

Vorbild Kaurismäki

Nichts in Uzak wird dabei an die flachen Kalauer einer Herrenwitz-Klamotte verschenkt. Viel eher nimmt sich der Film die ungerührten Stolperbewegungen bei Aki Kaurismäki zum Vorbild - und führt schließlich auch weit über die Beengtheiten einer Zwangswohngemeinschaft hinaus. Nicht nur in grandiosen Impressionen von Istanbul, die man so im Kino kaum jemals zuvor sah, sondern auch in den Wahrnehmungen eines Alltags, in dem die Türkei ein ziemlich westliches Bild vermittelt.

Da werden giftige Klebebänder gegen Mäuse selbst zur Dauerplage. Nachbarn kämpfen mit den allzu sensiblen Alarmanlagen ihrer Autos - und niemals treten solche Episoden plakativ als das in den Vordergrund, was sie auch sind: Metaphern für eine allgemeine Verunsicherung. Organisch fügen sie sich ein in eine Raumvermessung, die zuallererst festhält, wie das ist: die Türkei am Beginn des 21. Jahrhunderts.

Irgendwann sitzen die Protagonisten (schlicht grandios: Muzaffer Özdemir und Mehmet Emin Toprak) bei einem Fotoshooting im Hinterland am Rande eines Betrituals in einer ländlichen Moschee - und stehen dabei auch neben sich selbst. Nicht nur, dass Staat und Wirtschaft für sie kaum Verwendung finden: Man müsste zumindest mit sich selbst etwas anfangen können - und steht doch in kaum überwindbarer Distanz zueinander. Es gibt keine wirkliche Solidarität im falschen Leben. Aber es gibt Filme wie diesen, die das auf den Punkt bringen, ohne "politisches" Thesenkino zu sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.10.2003)