Die selbst verkündete Daseinsberechtigung der Regierungen Schüssel I und II ist das "Reformprojekt": verkrustete (Sozialpartner-)Strukturen aufbrechen; Gewerkschaftsbeton anbohren; mit der alten Schulden- und Staatsinterventionswirtschaft Schluss machen; für Privatisierung, Liberalisierung, Entbürokratisierung die Tür aufmachen.

Das haben viele Wähler geglaubt, und das wäre auch eine tolle Sache gewesen. Zwei Ereignisse der letzten Woche haben aber diesem wichtigsten Aktivum der schwarz-blauen Koalition, nämlich dem vom Wähler für ehrlich gehaltenen Reformwillen, die Grundlage entzogen.

Es sind zwei Kernstücke von Schüssels politischer Strategie zerstört worden: der Glaube an die echte Reformpolitik von Schwarz-Blau, vor allem im Sozialversicherungsbereich; und der Glaube an die Kompetenz und Integrität von Schüssels persönlichem Wirtschaftspolitiker, Karl-Heinz Grasser.

Der Verfassungsgerichtshof entlarvte den Umbau der Dachorganisation der Sozialversicherungen, kurz "Hauptverband" genannt, als verfassungswidrige Mischung aus Putsch und Pfusch.

Das konnte man auch schon vorher wissen: Die gesetzliche Ausschließung einer Personengruppe, nämlich von Gewerkschaftsfunktionären, erkennt ein Erstsemestriger als verfassungswidrig. Dennoch hat die Regierung das durchgeboxt - wobei die FPÖ und die damalige Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer die politische Speerspitze bildeten, die ÖVP aber die Posten kassierte.

Auf jeden Fall hat man sich aber um rechtsstaatliche Grundsätze nicht geschert und gleichzeitig juristische Inkompetenz bewiesen. Mit der Megablamage ist der Reformnimbus dieser Regierung dahin - zumal schon bei Ambulanzgebühren, Unfallrentenbesteuerung Ähnliches schief lief und die Uni-Reform in weiten Teilen ebenfalls verfassungswidrig sein dürfte.

Das wird nichts mehr mit der großen Reformgeste in den verbleibenden dreieinhalb Regierungsjahren. Nicht einmal, wenn sich die FPÖ plötzlich als regierungsfähig erweisen sollte. Was ja so gut wie auszuschließen ist. Jetzt will Haider wieder eine Regierungsumbildung. Die FPÖ kratzt seit Anbeginn den Boden ihres Personal-Blechhäfens aus - wo sollen da jetzt die Garanten eines Neubeginns herkommen? Mit welchen Titanen der Regierungskunst haben wir nach Herbert Haupt zu rechnen?

Und vor allem: Wie erklärt uns Wolfgang Schüssel dieses Stolpern von einem Pallawatsch in den anderen? Und es geht ja nicht nur um Pallawatsch und inadäquates Personal. Wie Herbert Lackner im profil in Erinnerung ruft, feiert diese Regierung und konkret dieser Justizminister wahre Rekorde bei der Verbiegung des Rechtsstaates: FPÖ und Haiders Freunde dürfen sich auf die Einstellungsmaschinerie verlassen.

Schließlich Karl-Heinz Grasser, die wirtschaftspolitische Zentralfigur dieser Regierung und Schüssels besonderer Darling. Sein Leistungsnachweis sind Steuern in Rekordhöhe, vernudelte Privatisierungen und null Standortpolitik. Ja, und die "größte Steuerreform aller Zeiten", die kommt noch. Wenn uns nur nicht vorher Grasser verloren geht.

Das alles soll noch dreieinhalb Jahre dauern? Vielleicht kommt es so, weil diese Regierungspartner sich aneinander klammern müssen. Aber es werden verlorene Jahre sein, in denen das Wort "Reform" aus dem Munde des Kanzlers oder sonst eines führenden Regierungspolitikers mit zornigem Lachen begrüßt werden wird. hans.rauscher@derStandard.at (DER STANDARD, Printausgabe, 14.10.2003)