Moskitos als KommunikationsoOrgane im urbanen Brachland, eine schwimmende Skateboardhalle oder gleich ein neues Universitätsgebäude, das sich als dynamische Großform über den Karlsplatz schlängelt: In den Architektur-Diplomarbeiten der TU Wien ist noch alles möglich. Uneingeschränkt von der Realität technischer Umsetzbarkeit, dem Korsett der Finanzierung, Behördenwege, Bauherrnwünsche bündelt sich im Diplom das konzentrierte Wissen eines Studiums zur persönlichen Utopie.

Die dritte archdiploma 2003 verlässt erstmals das ehrwürdige Stammhaus am Resslpark, um im verglasten project space der Kunsthalle stärker in die öffentliche Wahrnehmung zu treten. Aus 160 besten Abschlussarbeiten der Jahre 2001-03 wurden 26 Architekturprojekte und 13 theoretische Arbeiten ausgewählt. Handverlesen von zwei hochkarätig besetzten Jurys (u.a. Peter Cook, Schöpfer des Kunsthauses Graz, Adolf Krischanitz, Kunsthallendirektor Gerald Matt, Jan Tabor) zeigt sich die archdiploma 2003 auf inhaltlich wie darstellerisch hohem Niveau. Die thematische Bandbreite reicht von überzeugenden Lösungen "klassischer" architektonischer Problemstellungen über futuristische Formexperimente, virtuell generierte Bauten, nachhaltige globale und theoretische Studien bis hin in die Grenzbereiche aus Öffentlichkeit, Kunst und architektonischer Intervention.

Fünf Arbeiten wurden prämiert, drei teilen sich den ersten Platz. Am Gaudenzdorfer Knoten, einem neuralgischen, verkehrsumtosten Punkt im Stadtgefüge, entwarf Daniel von Chamier Glisczinski ein Festspielhaus. In großer städtebaulicher Geste verlegte er den Gaudenzdorfer Gürtel an den Wienfluss, um dem schalenförmigen, verglasten Foyer ein entsprechendes, nach Süden terrassiertes Vorfeld zu geben. Die Dachkonstruktion über der Tribüne bildet einen spannenden Stützenwald, die enorme Bühnenmaschinerie wurde in einem Block untergebracht, der die Gründerzeitstruktur aufnimmt. Ein glamouröser Musik-Theater-Kristall als Impuls für die Stadt, der die Blicke aller U-Bahn- und Autofahrer auf sich zöge. Ähnlich utopisch und formal sehr spektakulär ist Christian Wittmeirs "Magnet Mitte Berlin". Ein Gebäude, das sich wie ein Rieseninsekt auf schmalen Beinstützen an der Mühlendammbrücke über die Spree wölbt. Das futuristische, mit einer Membran überzogene Gebilde zapft diverse Vekehrsströme an, viele Ebenen, Rampen, Galerien und Nutzungen wie Café/Bar, Lounges, "Ship-in-Kino" machen den Raum über dem Wasser zu einer Zone verdichteter Aktivität.

Das Problemfeld Südbahnhof bearbeitet Alexandra Wattie. Ihr Projekt "From Passage to Performance" befasst sich intensiv mit der Befindlichkeit des Reisenden, der Fluss der Bewegung vieler Transportsysteme wird mehrgeschoßig strukturiert und gebündelt. Berührungspunkte dieser Netzwerke sind als Schnittstelle von Zeit und Raum mit Durchbrüchen und Zwischenzonen inszeniert. Diverse Verkehrsadern und Wegenetze werden so durchlässig und porös, charakterlose Unorte zu Passagen, die nicht passiv durchmessen, sondern aktiv erkundet sein wollen. Am Knotenpunkt Praterstern entwickelte Klaus Rösel ein Hochhaus, das den vierten Platz bekam.

Überwältigt von der Qualität, regte die Jury bei der Softwarefirma A-Null einen Sonderpreis an. Der ging an Christoph Falkner und Thomas Grasl. Im Projekt "LAUT.02" entwickelten sie die zwei entwurfsunterstützenden Tools "mover" und "ve.loc.i.ty". Ersterer produziert einen dreidimensionalen Raumfilm, der als Fassadenkonstruktion oder in Kombination mit "ve.loc.i.ty" als raumgenerierendes Programm angewandt werden kann. Ausgangspunkt ist die Simulation einer Fläche, die mit beliebig vielen autonomen Agenten beschickt wird. Ihre Bewegung erzeugt eine digitale Spur im virtuellen Raum, deren Daten über den "mover" als Basis einer neuen Form ins 3-D-Studioprogramm exportiert werden. Dort können Anwender begrenzende Parameter wie Höhe oder Maßstab wählen, der Computer generiert daraus Raum. Am Institut für Gebäudelehre steht seit ca. einem Jahr ein "Dimension 3-D-Plotter". Das Hightechgerät wurde für Motorenindustrie und Maschinenbau entwickelt, es erzeugte das "LAUT.02"-Modell. 50 Agenten schickten Falkner und Grasl dafür über eine fiktive Fläche von 20 x 30 Metern, das Raumresultat sind zwei hügelige Ebenen auf schrägen Stützen.

Als tragfähig für die Zukunft erweisen sich auch weniger spektakuläre Projekte, die zwar keinen Preis bekamen, sich aber durch sehr ernsthafte Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten auszeichnen. So erarbeitete Franziska Orso in "Learning from Alex" ein städtebaulich typologisches Entwicklungsmodell für Low-Cost Housing in Südafrika. Basierend auf genauer Bestandsaufnahme und Analyse des schwarzen Townships Alexandra in Johannesburg, konzipierte sie eine Grundstruktur, die Bewohnern genug Spielraum zur Gestaltung ihrer Parzellen lässt. Architektur, die mit viel Respekt und Vertrauen ins menschliche Selbstorganisationstalent realistische Rahmen zur Entfaltung schafft.

Gerhard Rohringers Entwurf eines Thermalbads in der Oststeiermark besticht durch präzise, klare Architektur: Die Umsetzung wäre eine bereichernd stilvolle Ausnahme in der steirischen Thermenregion. Eine kleine, exklusive Stadtnische füllt das Minimalhotel am Mölkersteig von Roland Mikolics, eine mediale Nische "On Air", die mobile Bühne für einen Privatsender von Sylvia Sauermann-Boesch.

An der Schnittstelle von Stadtraum und Mensch, dort, wo Füße am Trottoir auftreten, agiert "assocreation". Ihr Interesse gilt nicht der Form, sondern unmittelbar sinnlichem Erleben. Das erfolgt automatisch, sobald vermeintlich sicherer Boden in Bewegung gerät. "assocreation" setzten bei "mega-manifeste der Anmaßung" im Künstlerhaus ein Stück Boden in Schwingung, ihre Diplomarbeit besteht aus pinken Fußabdrücken, ist eine dokumentierte Momentaufnahme der Bewegung. Alle, die am 3. Mai 2002 zwischen 14:00 und 18:30 das Trottoir vorm Künstlerhaus querten - vom Fahrradfahrer über die Schrittchoreografien diverser Passanten -, finden sich so zwischen zwei Buchdeckeln auf Papier. "COMMONGROUND bodenlos" bekam den Preis der Kunsthalle Wien. "assocreation" setzt gerade ein Stück Gehweg an der Mariahilfer Straße und damit Menschen in Schwingung: Wer ein "bump"-Brett niedertritt, hebt in Brighton eines hoch. Was sich in Wien erhebt, wird dort gerade betreten.

Den Körperdisziplinierungsapparat Schulbank analysierte Sonja Hnilica, Massenpanik in Gebäuden Nathalie Waldau, beide erhielten den Theoriepreis. Die archdiploma 2003 bietet ebenso einen repräsentativen Querschnitt über das breite Spektrum der TU Wien wie über ein Berufsbild im Dauerwandel. Neue Technologien und Medien, die Vernetzung von realem und virtuellem Raum, der potenzielle Arbeitsmarkt EU, territoriale und gesellschaftliche Veränderung stecken das weite Feld ab, in dem sich zukünftige Architekten behaupten müssen. Die Podiumsdiskussion "ArchitektIn sein in Europa" am 6. Oktober suchte die Konsequenzen für Beruf und Ausbildung zu ermessen. Aus der Dichte an Themen und Meinungen kristallisierte sich klar heraus: Eine ungewisse (EU-)Zukunft ist nur mit Qualität und Flexibilität zu bewältigen. Um die jungen archdiploma-2003-Absolventen aus dem Kreativlabor TU muss man sich also keine Sorgen machen. Zukunft und EU können kommen. []

archdiploma 2003, project space am Karlsplatz,Treitlstr. 2, 1040 Wien, tägl. 13-19 Uhr
Fr, 10. 10., ab 17 Uhr Vorträge der Absolventen
Sa, 11. 10., 18 Uhr Finissage