Wer das Dilemma verstehen will, vor dem Arnold Schwarzenegger heute steht, sollte sich an jenen Tag im August zurückerinnern, als der frisch gebackene Kandidat Warren Buffett als Finanzberater präsentierte. Der legendäre Investor aus Nebraska empfahl eine Erhöhung der kalifornischen Grundsteuer und löste damit einen Sturm der Empörung aus. Denn seit dem Erfolg der Wählerinitiative "Proposition 13" vor 25 Jahren gehören diese Steuern trotz hoher Immobilienpreise zu den niedrigsten im ganzen Land.

Schwarzenegger distanzierte sich von seinem weisen Freund und führte dann den Wahlkampf mit dem Versprechen, Abgaben zu senken, Bildungsausgaben zu erhöhen und dennoch das Milliardendefizit abzubauen. Nun, da ihm die Wähler die Chance geben, sein Programm auch umzusetzen, wendet er sich an Präsident Bush, damit dieser ihm doch das Geld dazu gebe.

Die Chancen dafür stehen schlecht. Auch Bushs Kassen sind leer, nachdem er genau das getan hat, was Arnold in Kalifornien heute plant: Steuern senken und Ausgaben erhöhen (Bush vor allem für Waffen und Kriege). Doch anders als die meisten Bundesstaaten und Gemeinden kann der Präsident ungebremst Rekorddefizite anhäufen, die er - wie einst Ronald Reagan und dessen "Voodoo Economics" - mit weiteren Steuersenkungen rasch wieder verschwinden lassen will.

Die Republikaner folgen damit einer Wirtschaftsphilosophie, die etwa so glaubwürdig ist wie das Drehbuch von "Terminator 3" und sich ebenso gut verkauft. Die Mehrheit der Amerikaner fühlen sich zu hoch besteuert - obwohl sie weit weniger bezahlen als Europäer, Kanadier oder Japaner - und stimmen meist für jenen Kandidaten, der ihnen Steuersenkungen verspricht. Deshalb hatte Schwarzenegger keine Wahl, als sich von Buffett zu distanzieren: Zweifel an seiner Anti-Steuer-Haltung hätten ihm weit mehr Stimmen gekostet als jeder Busengrapscher.

George Bush senior, der seinen Anti-Steuer-Schwur einst brach, weiß davon ebenso ein Lied zu singen wie der erzkonservative Gouverneur von Alabama, Bob Riley, der zur Sanierung der miserablen Schulen eine massive Steuererhöhung vorschlug. Sie wurde von Alabamas Wählern mit großer Mehrheit abgelehnt. Der Steirer wird sich hüten, wie einst Gouverneur Reagan sein Wahlversprechen zur "True Lie" zu erklären und das Budget doch noch mit höheren Steuern zu sanieren.

Amerikas niedriges Steuerniveau fördert zwar Unter^nehmensgründungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen, aber der "Anti-Steuer-Kreuzzug" (Paul Krugman in der New York Times) ist auch eine der Hauptursachen für die schwe^ren sozialen und öko^nomischen Probleme des Landes. Der ständige Geldmangel in den öffentlichen Kassen führt dazu, dass der ohnehin magere Sozialstaat verkümmert, die Schulen nicht funktionieren, die Straßen verfallen und die Stromversorgung kollabiert. Selbst für die vom Mittelstand geschätzte Polizei fehlt vielerorts das Geld.

Nur wenige Bürger begreifen den Zusammenhang zwischen der verrotteten Infrastruktur und ihrer Steuerphobie. Sie machen die Politiker verantwortlich und flüchten aus dicht besiedelten Problemregionen, wie etwa dem Großraum Los Angeles, in menschenleere Gebiete in Nevada, Arizona oder Utah. Doch auch dort stellt sich ihnen bald das gleiche Dilemma: Wenn die öffentliche Hand kein Geld hat, schwindet auch bald die Lebensqualität. Wie Heuschreckenschwärme fallen diese Menschen über leere Landstriche her, plündern sie regelrecht aus und ziehen dann weiter, weil ihre Kinder nicht mehr sicher sind und die Luft nicht mehr sauber ist.

Angezettelt haben die Steuerrevolte einst Kalifornier vom Schlage Schwarzeneggers, der heute noch predigt, dass Steuern staatlicher Diebstahl an fleißigen Bürgern seien. Der neue Gouverneur wird so zur Symbolfigur für das heutige Amerika. Oder, wie Karl Kraus sagen würde: Arnolds Wirtschaftsprogramm ist jene Krankheit, für deren Therapie es sich hält. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2003)