Durch Weingärten mit Aussicht führt der Algunder Waalweg.

Tourismusbüro Algund
Die Sonne scheint tief durch die goldenen Blätter von Edelkastanien, Wasser gluckert in einer steingefassten Rinne, und Fallobst, von Wespen übersät, verbreitet einen mostigen Geruch. Herbst in Südtirol, im "Burggrafenamt" um Meran, auf einem der "Waalwege", die das Etschtal nördlich und südlich begleiten.

Weil das sonnige Klima das Wasser braucht, um Wein und Äpfel reifen zu lassen, haben die Südtiroler Bauern schon im Mittelalter ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem angelegt, so genannte "Waale", nach dem lateinischen Wort "Aquale" für Wasserlauf. Ein genau festgelegtes Waalrecht regelte gemeindeübergreifend den Bau und die Nutzung der Bewässerung.

Die Waale sind nur mehr streckenweise in Betrieb - Sprühanlagen haben sie häufig ersetzt - und die alten, steingefassten Rinnen wurden oft durch Betonwannen oder Metallröhren ersetzt. Geblieben sind die Wege, die zur Kontrolle und Ausbesserung der Bewässerungsanlagen errichtet wurden und die bequeme, weil dem minimalen Gefälle der Waale folgende Wander-oder eher Spazierrouten darstellen.

Dabei ist der von Meran auf der nördlichen Seite des Etschtals nach Westen verlaufende Algunder Waalweg besonders attraktiv. Er ist die Fortsetzung einer Promenade, die eng mit dem Aufstieg Merans zur Kurstadt verbunden ist. Der Kurarzt Franz Tappeiner investierte einen Teil seines mit der Betreuung hochadeliger Patienten verdienten Geldes in eine Schenkung an die Stadt, den nach ihm benannten "Tappeinerweg".

Mitten in der Meraner Altstadt erreicht man ihn über einige Kehren leicht ansteigend: eine mit Palmen und anderen subtropischen Gewächsen bepflanzte und reichlich mit Ruhebänken versehene Kurpromenade, die vom Vorfrühling bis in den Spätherbst hinein in verschwenderischer Blütenpracht erstrahlt. Der Tappeinerweg geht in den Algunder Waalweg über, der oberhalb der Obstgemeine Algund auf der Sonnenseite des Etschtals verläuft, begleitet von Kastanienwäldern, die auch hier freilich immer mehr dem ertragreicheren Obstbau weichen müssen.

Über einen Plattenfuhrweg, den so genannten "Ochsentod", kann man nach Norden ansteigend in einer Stunde Schloss Tirol erreichen, die Stammburg der gleichnamigen Grafen, die dem Land seinen Namen gab. Tirol bedeutet nach neuesten Vermutungen so viel wie "fester Boden" im Gegensatz zum sumpfigen, von Überschwemmungen bedrohten Talboden.

Auf Schloss Tirol, von dem man über den Küchelberg wieder zurück nach Meran kommt (Gehzeit der Rundwanderung 4 Stunden), wurde heuer im Sommer nach einer Generalsanierung der Bausubstanz das Südtiroler Landesmuseum für Kultur-und Landesgeschichte eröffnet - eine üppige und gleichzeitig kurzweilige Dokumentation von der Prähistorie bis zur aktuellen Gegenwart.

Von Algund weiter nach Westen führt der Waalweg durch Obstgärten, vorbei an Buschenschänken, die mit frisch gepresstem Apfel-und Traubensaft locken, und erreicht nach etwa drei Kilometern bei Töll unterhalb von Partschins den Boden des Etschtals (Gehzeit von Meran zweieinhalb Stunden). Von Töll führt ein Bus zurück nach Meran, schöner aber ist es, die Talseite zu wechseln und auf dem Marlinger Waalweg zurück nach Lana bei Meran zu spazieren (zweieinhalb Stunden).

Dieser Weg hat die schönere Aussicht (auf Meran und Schloss Tirol) als die Algunder Route, liegt allerdings über weite Strecken im Schatten. Wer von vorneherein die Runde plant, macht sie vielleicht umgekehrt: am Vormittag die Aussicht, am Nachmittag die Sonne.

Ein Wort noch zum Törggelen, dem legendären Südtiroler Herbstvergnügen, hergeleitet vom Wort Torggl (lateinisch torculum), einer Bezeichnung für Weinpresse. Ursprünglich eine Lustbarkeit der Bürger von Bozen, Brixen und Meran, die nach der Weinlese einen befreundeten Bauern aufsuchten, um mit ihm zu Speck, Kastanien und "Keschtn" (Kastanien) den "nuien" Wein zu verkosten, ist es leider häufig zum Kampftrinken für Nordtiroler oder bayrische Busladungen verkommen.

Wer immer noch einen echten Törggelebauern mit unverfälschten Naturprodukten kennt, wird diesen Geheimtipp bestimmt nicht an die große Glocke hängen. Auch die Südtiroler wissen inzwischen um die Kehrseiten des Tourismus. Im gerade eröffneten "Touriseum", einem Landesmuseum für die Geschichte des Fremdenverkehrs, dokumentieren sie dies distanziert und nicht ohne Ironie. Eine Wanderung entlang den Waalwegen des Burggrafenamts gehört freilich zu den sanftesten Formen von Tourismus. [] Informationen: Henriette Klier: "Meran. Die schönsten Tal- und Höhenwanderungen", Rother Wanderführer, Bergverlag Rother, München, 6. Aufl. 1999. Manfred Föger, Karin Pegoraro: "Südtirol. Wandern und Erleben", Bruckmann Verlag München, 2001. Wanderkarte Meran und Umgebung, 1: 30.000. Verlag Freytag & Berndt, Wien, ohne Jahr.