So sehr die prinzipiellen Überlegungen von Peter Zawrel zur Diagonale zu unterstützen sind, so entschieden ist der konkreten Argumentation zu widersprechen, weil die historischen Fakten einfach unrichtig dargestellt sind, insbesondere was den angeblich so "glaubwürdigen" Übergang von den Österreichischen Filmtagen in Wels zur Diagonale in Salzburg betrifft.

Da ich alle Verhandlungen aus nächster Nähe miterlebt habe, ist klarzustellen: Lange bevor Wels wegen der erbärmlichen Haltung des damaligen Bürgermeisters zu Nazi-Relikten als Standort diskreditiert wurde, haben wenige aus der österreichischen Film-"Community" (welch absurdes Vokabel, denn Zusammenhalt und Gemeinschaftssinn gab es unter den österreichischen Filmschaffenden noch nie) – keineswegs demokratisch legitimiert – schon versucht, Reinhard Pyrker als Festivalleiter abzusägen und haben damit im Ministerium Gehör gefunden. Die "braunen Flecken" in Wels waren ein willkommener Anlass, den Österreichischen Filmtagen mehr oder weniger über Nacht die Subvention des Bundes zu streichen.

Worum es wirklich ging, wurde deutlich, als man Reinhard Pyrker eben nicht mehr zu einer Neustrukturierung eines österreichischen Festivals – an welchem Standort auch immer – einlud. Es wurde genauso wie heute von oben he^rab aus dem Ministerium eine neue Struktur und Leitung installiert, die politisch genehm war. Dass es damals keinen Aufschrei gab, zeigt die Verlogenheit der heutigen Debatte, denn es war damals dieselbe Zwangsbeglückung, nur wurde sie aus spießigen parteipolitischen Überlegungen einfach akzeptiert.

Die Diagonale konnte sich ausschließlich aufgrund des "staatlichen Füllhorns" etablieren, denn plötzlich war möglich, was bei den Österreichischen Filmtagen in Wels nie möglich war, nämlich dass es kräftige Subventionserhöhungen gab und plötzlich auch das ÖFI fördern konnte oder durfte. Gleichzeitig wurden den Österreichischen Filmtagen alle Subventionen gestrichen.

Ähnliches geschah beim Festival des Europäischen Films ("Kinova") 1999 in Wels. Die definitiv zugesagte Subvention des Bundes in Höhe von 500.000 Schilling wurde von Staatssekretär Wittmann und Herrn Mailath-Pokorny während des Festivals auf 150.000 gekürzt, was das Aus für das Festival bedeutete. Dass Christine Dollhofer nun in Linz ein Festival mit fast identem Konzept versucht, ist eine Ironie für sich.

Bitte keine Legendenbildungen, was die Vergangenheit betrifft. Österreichische (Kultur-)Politik wird leider ausschließlich über Zugehörigkeiten und politische Anlehnungsbedürfnisse definiert und fast nie über Standpunkte und in der Sache argumentierte Haltungen.

Andreas Gruber, Filmregisseur und Professor an der Filmhochschule München


Lieber Andreas Gruber,
wir wissen es: Nicht der Übergang von den Filmtagen in Wels zur Diagonale in Salzburg war "glaubwürdig", sondern – und das habe ich geschrieben – die handelnden Personen waren es. Ich selbst war, wie Sie wissen, der Motor dafür, dass ab 1989 endlich alle (!) Bundesländer die Filmtage unterstützten, und ich habe die Vorgangsweise des Bundes 1993 auch heftig kritisiert. Es dürfte jedoch unbestritten sein, dass das Diagonale-Team unter der Gesamtleitung von Martin Schweighofer (Peter Tscherkassky, Christian Berger, Christa Blümlinger, Stefan Grissemann, Anna Steininger) dasselbe Vertrauen genoss wie zuvor jenes um Reinhard Pyrker.

Ähnliche Voraussetzungen sind derzeit, selbst bei wohlwollender Betrachtungsweise, nicht zu erkennen. Aber nichts wäre mehr zu begrüßen als die von Ihnen eingeforderte, auf die Sache und nicht auf Personen bezogene Kulturpolitik, der die Erkenntnis der Kulturschaffenden gegenüberstehen sollte, dass die Nähe zur Macht vielleicht den Rücken wärmt, man sich dabei aber auch sehr schnell kalte Füße holen kann.

Peter Zawrel, Leiter des Österreichischen Filmfonds

(DER STANDARD, Printausgabe vom 8.10.2003)