Bild nicht mehr verfügbar.

Der Angeklagte weist die Schuld von sich und glaubt an eine Verschwörung der Polizei.

Foto: APA/Artinger
13 Jahre nach dem Mädchenmord im Laaer Wald steht der mutmaßliche Täter vor Gericht. Die genetischen Spuren an der Leiche der achtjährigen Nicole Strau stammen von ihm. Der Angeklagte weist die Schuld von sich und glaubt an eine Verschwörung der Polizei.

***

Die Staatsanwältin wäre auch eine gute Hörbuch-Sprecherin. Sie hat eine angenehme tiefe Stimme, betont bedächtig Wort für Wort. Sie sagt: "Liebenswert, höflich, schüchtern." Sie sagt: "Wäre niemals mit einem Fremden mitgegangen." Sie spricht von Nicole Strau. Die Geschworenen kennen den Namen, haben das Gesicht aus der Zeitung vor sich. Ein Mädchen, das seit 13 Jahren nicht älter als acht werden kann.

Die Staatsanwältin ändert nichts an ihrer Wortmelodie, wenn sie von Grausamem spricht. Sie sagt: "Übel zugerichtete Leiche." Sie sagt: "Anal vergewaltigt." Sie sagt: "Mit einem Ast erschlagen." Sie sagt: "Kein Alibi, völlig kaltblütig." Und sie sagt: "Seine Samenspur." Sie spricht von Michael P., dem hageren Mann mit schmalem Kopf, bleichem Gesicht und schütterem Haar in der Anklagebank. Er stellt sich den Geschworenen im Sakko mit weißem Stecktuch als unschuldiges Opfer polizeilicher Verschwörung vor. Für die Klägerin ist er der Mädchenmörder aus dem Jahr 1990. Am Abend des 22. Dezember war es, im Laaer Wald in Wien. Nicole Strau befand sich auf dem Heimweg von ihrer Tante in Simmering. Hundertmal wurde das schon berichtet. Nie wurde darauf vergessen zu erwähnen, dass sie dort ihre letzten Weihnachtsgeschenke abgeliefert hatte.

Guter Bekannter der Familie

Die DNA-Analyse macht den guten Bekannten der Familie, den intimen Freund von der Tante (was der Onkel erst wusste, als Nicole schon tot war), zum Mörder der Achtjährigen. DNA lässt keinen Zweifel zu. Also muss sie selbst angezweifelt werden, wenn Verteidigung da noch irgendwie sinnvoll sein soll. Elmar Kresbach, ein Profi, bemüht sich redlich. "Dieser Prozess ist nicht klar", sagt er radikal gegen den Trend im gar nicht auffallend stürmisch besuchten Saal. "DNA ist ein gefährlicher Weg", warnt er die Geschworenen. "DNA ist kein Wundermittel", beschwört er: "Die DNA erzählt uns keine Geschichte. Sie sagt uns nicht, was war. Die DNA ist nie dabei. Sie ist kein Zeuge. Sie ist keine Waffe." - Niemand rührt sich, die Passage ist ihm gut gelungen. Er rundet sie mit einem persönlichen Aufruf an die Laienrichter ab: "Sitzen Sie mir nicht der Falle DNA auf!"

Und wenn - das ist ein Kompromiss des Anwalts an die vernichtende Anklageschrift - wenn der genetische Fingerabdruck auch die Vergewaltigung beweisen sollte, so gelte doch: "Die meisten sexuell missbrauchten Kinder werden nicht umgebracht." Die Gesichter der Geschworenen verraten, dass ihm diese Aussage weniger gut gelungen ist.

"Dann hat die Kriminalität ang'fangen"

Michael P. (37) kämpft um die volle Unschuld im Mordfall Strau. Zu seiner Kindheit wird er nicht gefragt. Zur Jugend fallen ihm rasch die vielen Drogen ein. "Und dann?", fragt der Richter. - "Dann hat die Kriminalität ang'fangen." Ein paar Diebstähle, ein paar Einbrüche, einige Körperverletzungen. Seit damals gilt er als Gewalttäter, zu Unrecht, wie er meint. "Was versteht man überhaupt unter Gewalt?", fragt er. "Wenn man wem a Watsch'n obehaut, ist das noch lang keine Gewalt", antwortet er sich selbst. Die Schwester hat er einmal mit den Füßen getreten, bis sie sich nicht mehr rührte. Auch das sei keine Gewalt gewesen, nur ein Geschwisterstreit.

Anfang der 90er-Jahre suchte man den vermeintlichen Serien-Mädchenmörder von Favoriten. Im Fall Strau war der Angeklagte als guter Bekannter der Familie sofort verdächtig. (Kriminalisten gingen davon aus, dass das Mädchen den Mörder gekannt haben muss.) Es gab aber weder Zeugen noch Beweise. Für die Fälle Beranek und Schriefl schied er als Täter aus. Im Jänner 2000 sollte ihm nach einer Festnahme routinemäßig ein Mundhöhlenabstrich entnommen werden. Er weigerte sich. - Man beließ es dabei und vergaß auf ihn.

Im September 2001 wurde er nach Autoeinbrüchen ein weiteres Mal zur DNA-Probe aufgefordert, diesmal mit mehr Nachdruck. Warum er sich wieder so beharrlich dagegen wehrte? - "So wie der Kieberer mit mir g'redet hat, so kann ma mit uns net reden", sagt er, "i bin a Verbrecher, i kooperier' net mit der Polizei." Schließlich musste er sich fügen. Das Ergebnis hat ihn hierher gebracht.

Keine Hilfe vom Bruder

Die Spermaspuren an der Leiche seien von ihm, hält ihm der Richter vor. "Das ist der Kern, was wir mit dem Gutachter klären werden", erwidert er. Konkreter: "Der Herr Reiter von der Gerichtsmedizin lügt, auf Initiative des Innenministers Strasser und des Sicherheitsbüros. Die haben hinter dem Fenster gegen mich gearbeitet."

Die Einvernahme des Bruders verlief für die Verteidigung enttäuschend. Man hatte erwartet und angekündigt, er würde dem Angeklagten ein Alibi zur Tatzeit geben. Doch der Zeuge entschlug sich der Aussage. Der Prozess geht heute weiter, das Urteil könnte schon am Donnerstag gesprochen werden. (DER STANDARD; Printausgabe, 8.10.2003)