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Roland Rainer, August 2002

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Eine der 140 Kleiderablagen von Roland Rainer die in der Wiener Stadthalle abmontiert wurden

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Wenn Roland Rainer plant, steht der Mensch und nicht Zeitgeisteitelkeit im Mittelpunkt. Einen der wohl wichtigsten lebenden Architekten Österreichs zu übergehen, wie im Falle der "Revitalisierung" seiner Stadthalle in Wien, ist stillos und fahrlässig. Eine Bestandsaufnahme der Respektlosigkeit von Ute Woltron

Roland Rainer war zeitlebens ein Streitbarer, Unbequemer. Einer, der seinen Kopf durchsetzte, weil er sich der Qualitäten seines Denkens immer sehr bewusst war. In einem Land wie Österreich kommen Verhaltensweisen wie diese traditionell nicht besonders gut an, doch das macht nichts, solange die Häuser so gebaut werden können, wie sie geplant wurden.

Roland Rainer hat der Nation tatsächlich ein paar wunderbare Architekturen geschenkt. Viele Menschen, die sie benutzen, die in ihnen wohnen, arbeiten, ihre Freizeit genießen, wissen gar nicht, wer ihr Autor ist. Doch auch das spielt keine Rolle. Der Architekt, die Architektin muss nicht immer im Vordergrund stehen. In Rainers Architektur spielten jedenfalls immer die Benutzer die Hauptrolle, und weil er auch formal einer der Besten war, kann man ihn heute getrost als einen der wichtigsten Planer der Republik bezeichnen.

Es gibt Momente im Leben der Menschen und der Häuser, da spielt der Architekt sehr wohl die tragende Rolle. Zum Beispiel, wenn eine an sich perfekte, vielleicht etwas abgenutzte, abgearbeitete Architektur revitalisiert gehört. Mit der Wiener Stadthalle hat Roland Rainer der Bundeshauptstadt in den späten Fünfzigerjahren eine vorzügliche Gebrauchsarchitektur beschert, die sich mittlerweile über vier Jahrzehnte bewährt hat.

Die Stadthalle sei eigentlich ein Berg, sagt einer ihrer regelmäßigen Besucher. Ein Nicht-Architekt im übrigen. Sie sei trotz ihrer Größe immer ein Ort der Geborgenheit für ihre Gäste, eine kleine Heimat für kurze Zeit. Die Sicht sei von allen Grotten und Höhlen aus herrlich, man könne auch alles wunderbar hören, die Stadthalle sei im Laufe der Jahrzehnte zum großen, väterlichen Freund und Kumpel der Wiener geworden. Rau, einfach, elegant ist das Haus. Multifunktional im besten, heute wieder modernen Sinn.

Viele Jahre, viele Konzerte, viele Sportveranstaltungen und anderes, was man heute Event zu nennen pflegt, haben ihre Spuren hinterlassen. Vor allem die Ausstattungsteile des schönen Hauses zeigten Ermüdungserscheinungen, was nicht weiter verwundert. Gehalten haben die Sessel, Lampen und anderes Mobiliar ohnehin viel länger, als man angenommen hätte. Auch das ist als Pluspunkt für den Planer zu verbuchen, denn der hat all das seinerzeit mit Bedacht und formalem Können entworfen.

Vor wenigen Wochen versteigerte Sotheby's nun in London einen einzelnen metallenen Garderobeständer. Der Bestbieter zahlte 5600 Euro dafür. Das Objekt stammte ursprünglich aus der Stadthalle. Vor einiger Zeit war es in Wien auf dem Mist gelandet. Leute, die seinen Wert erkannten, holten es wieder heraus. Mit dutzenden anderen. Einige davon werden in Museen wandern.

Die Stadthallenbetreiber hatten den scheinbaren Krempel hinausgeworfen, weil sie sich dazu entschlossen, das Haus zu revitalisieren - was zweifelsfrei ihr gutes Recht ist. Doch den Weg zu Roland Rainer, der das Gebäude kennt wie kein anderer, und der in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder am gesamten Stadthallen-Komplex geplant hat, wollte offenbar niemand gehen. Nicht die Auftraggeber, nicht die revitalisierenden Architekten, nicht das Denkmalamt, nicht die Stadtväter. "Mich hat keiner je kontaktiert", sagt der große alte Mann der Architektur, der mit heute 93 Jahren vor Auftragsgeiz gefeit ist, sein Lebenswerk aber geschändet weiß.

Wenn schon die offenbar völlig unkundigen Auftraggeber jegliches Feingefühl vermissen ließen, so hätte man doch zumindest seitens der nun planenden Kollegen die soziale und fachliche Kompetenz erwartet, den Grandseigneur wenigsten ein mal in seinem Atelier aufzusuchen. Denn in Pension befindet sich Roland Rainer noch lange nicht.

An ein Monument, wie es die Stadthalle mitsamt ihrem Urheber Rainer darstellt, ohne jegliche Nachfrage Hand anzulegen, zeugt von Ignoranz und Respektlosigkeit jenen gegenüber, die bereits zu einer Zeit die Fundamente des aktuellen Architekturgeschehen Österreichs legten, als die meisten der heute aktiven Architekten noch nicht einmal geboren waren.

Auch die offiziellen Stellen der Stadt stellen sich taub, stumm, unwissend. Stadthallen-Aufsichtsrat und MA51-Chef Ferdinand Podkowicz weiß lediglich, dass das Haus einer, wie er meint, "optischen Aufbesserung" unterzogen wurde. Die Beurteilung der "optischen Aufbesserung" darf den Betrachtern der auf dieser Seite gezeigten Bilder überlassen werden. Roland Rainer äußert im ALBUM-Interview jedenfalls Bedenken grundlegender Art.

Roland Rainer: Wie man sieht, hat man in der Sprache aller architektonischer Details das Gegenteil dessen gemacht, was uns damals vorschwebte. Wir hatten sehr einfache Sessel, jetzt stehen dort samtgepolsterte Stühle in Pink und Altgold. Ich bedaure aber vor allem, dass der Umraum der Stadthalle stark verändert wird. Es gab einen Wettbewerb für die dort gerade errichteten Erweiterungen.

Waren Sie dazu eingeladen? Rainer: Nein. Ich hatte zwar alle Planungen dafür fertig gestellt, doch man wollte eben einmal etwas anderes machen. Dagegen ist nichts zu sagen. Doch es gibt eine Gesamttendenz, die dem zuwider steht, was wir uns für den Umraum der Halle vorgestellt haben. Das wichtigste Element war der Märzpark mit seinen alten Bäumen. Die sind verschwunden, ebenso eine Plastik von Fritz Wotruba, weil dort nun eine Straßenkreuzung sein soll. Und was die Revitalisierung angeht, frage ich mich, welche Gründe es gibt, alles zu ändern. Ist ein Gebäude deshalb, weil es eine Zeit lang steht, reif für die Zerstörungssanierung? Die Stadthalle ist immerhin auf der ganzen Welt berühmt dafür, wie gut sie funktioniert. Wurde auch in die Substanz eingegriffen? Rainer: Es hat den Anschein. Man hat zumindest gesehen, dass andere Bleche und Farben da sind, was vor allem für die akustisch höchst wirksame, sehr kompliziert gemachte Decke problematisch ist. Die Decke ist abgestuft, die verschiedenen Stufen hatten verschiedene Oberflächen. Die Halle war akustisch einwandfrei ausgebildet. Doch man wird sehen, was zu hören sein wird. Es ist nicht angenehm, wenn eine Sache, die eine Neuerfindung war, von anderen umgebaut wird. Auch Ihre Möbel haben offenbar ausgedient. Rainer: Diese Rosa-Gold-Symphonie ist das Gegenteil dessen in Ausdruck und Stil, was die Stadthalle ist. Unsere Möbel waren neutral und streng. Warum? Weil die Stadthalle eine Mehrzweckhalle für eine sehr breite Öffentlichkeit ist und nicht für eine kleine elitäre Schicht gemacht wurde. Die Möblierung war ein Bestandteil dieser Gesinnung und eine architektonisch wichtige Aussage. Ich wollte mit meinen Möbeln nicht repräsentieren, alles war in jeder Hinsicht praktisch. Die Sessel etwa waren gut stapelbar und hatten durch ihre Lochung überdies eine akustische Wirkung. Doch man spricht in der Kulturnation Österreich überhaupt nicht mehr von Stil, sondern nur von Kubikmetern. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo man als Einzelner überhaupt nichts mehr machen kann. Das ist der Grund, warum ich nicht gekämpft habe. Und was halten Sie von der neuen Innengestaltung? Rainer: Sie scheint mir Spielereien zu sein, die ich nicht verstehe, weil ich ihren Sinn nicht kenne. Die Architekten müssen erläutern, in welchem Punkt sie damit einen Fortschritt erreicht haben. Wenn überhaupt Architekten dabei waren. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das eher irgend ein Hauspersonal gemacht hat. Als öffentliches Gebäude müsste die Halle denkmalgeschützt sein. Wurden Sie von dieser Seite jemals kontaktiert? Rainer: Nein. Mich hat niemand je kontaktiert. Tatsächlich, jemand hätte anfragen müssen. Es ist zumindest ungewöhnlich, sich einer solchen Aufgabe zu stellen, ohne den planenden Architekten wenigstens zu kontaktieren. Dieser Rosa-Gold-Stil ist vielleicht etwas, das einer gewissen bürgerlichen Schicht Wiens zusagt. Daher passt er jetzt. Aber viel schlimmer ist: So, wie man innen die Möbel bewusst zerstört hat, so zerstört man nun das Umfeld. Doch über das, was jetzt geschieht, sollten wir die Nachwelt urteilen lassen. Ich selbst werde es nicht mehr erleben. (Ute Woltron, DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe vom 4./5.10.2003)