Roland Rainer war zeitlebens ein Streitbarer, Unbequemer. Einer, der seinen Kopf durchsetzte, weil er sich der Qualitäten seines Denkens immer sehr bewusst war. In einem Land wie Österreich kommen Verhaltensweisen wie diese traditionell nicht besonders gut an, doch das macht nichts, solange die Häuser so gebaut werden können, wie sie geplant wurden.
Roland Rainer hat der Nation tatsächlich ein paar wunderbare Architekturen geschenkt. Viele Menschen, die sie benutzen, die in ihnen wohnen, arbeiten, ihre Freizeit genießen, wissen gar nicht, wer ihr Autor ist. Doch auch das spielt keine Rolle. Der Architekt, die Architektin muss nicht immer im Vordergrund stehen. In Rainers Architektur spielten jedenfalls immer die Benutzer die Hauptrolle, und weil er auch formal einer der Besten war, kann man ihn heute getrost als einen der wichtigsten Planer der Republik bezeichnen.
Es gibt Momente im Leben der Menschen und der Häuser, da spielt der Architekt sehr wohl die tragende Rolle. Zum Beispiel, wenn eine an sich perfekte, vielleicht etwas abgenutzte, abgearbeitete Architektur revitalisiert gehört. Mit der Wiener Stadthalle hat Roland Rainer der Bundeshauptstadt in den späten Fünfzigerjahren eine vorzügliche Gebrauchsarchitektur beschert, die sich mittlerweile über vier Jahrzehnte bewährt hat.
Die Stadthalle sei eigentlich ein Berg, sagt einer ihrer regelmäßigen Besucher. Ein Nicht-Architekt im übrigen. Sie sei trotz ihrer Größe immer ein Ort der Geborgenheit für ihre Gäste, eine kleine Heimat für kurze Zeit. Die Sicht sei von allen Grotten und Höhlen aus herrlich, man könne auch alles wunderbar hören, die Stadthalle sei im Laufe der Jahrzehnte zum großen, väterlichen Freund und Kumpel der Wiener geworden. Rau, einfach, elegant ist das Haus. Multifunktional im besten, heute wieder modernen Sinn.
Viele Jahre, viele Konzerte, viele Sportveranstaltungen und anderes, was man heute Event zu nennen pflegt, haben ihre Spuren hinterlassen. Vor allem die Ausstattungsteile des schönen Hauses zeigten Ermüdungserscheinungen, was nicht weiter verwundert. Gehalten haben die Sessel, Lampen und anderes Mobiliar ohnehin viel länger, als man angenommen hätte. Auch das ist als Pluspunkt für den Planer zu verbuchen, denn der hat all das seinerzeit mit Bedacht und formalem Können entworfen.
Vor wenigen Wochen versteigerte Sotheby's nun in London einen einzelnen metallenen Garderobeständer. Der Bestbieter zahlte 5600 Euro dafür. Das Objekt stammte ursprünglich aus der Stadthalle. Vor einiger Zeit war es in Wien auf dem Mist gelandet. Leute, die seinen Wert erkannten, holten es wieder heraus. Mit dutzenden anderen. Einige davon werden in Museen wandern.
Die Stadthallenbetreiber hatten den scheinbaren Krempel hinausgeworfen, weil sie sich dazu entschlossen, das Haus zu revitalisieren - was zweifelsfrei ihr gutes Recht ist. Doch den Weg zu Roland Rainer, der das Gebäude kennt wie kein anderer, und der in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder am gesamten Stadthallen-Komplex geplant hat, wollte offenbar niemand gehen. Nicht die Auftraggeber, nicht die revitalisierenden Architekten, nicht das Denkmalamt, nicht die Stadtväter. "Mich hat keiner je kontaktiert", sagt der große alte Mann der Architektur, der mit heute 93 Jahren vor Auftragsgeiz gefeit ist, sein Lebenswerk aber geschändet weiß.
Wenn schon die offenbar völlig unkundigen Auftraggeber jegliches Feingefühl vermissen ließen, so hätte man doch zumindest seitens der nun planenden Kollegen die soziale und fachliche Kompetenz erwartet, den Grandseigneur wenigsten ein mal in seinem Atelier aufzusuchen. Denn in Pension befindet sich Roland Rainer noch lange nicht.
An ein Monument, wie es die Stadthalle mitsamt ihrem Urheber Rainer darstellt, ohne jegliche Nachfrage Hand anzulegen, zeugt von Ignoranz und Respektlosigkeit jenen gegenüber, die bereits zu einer Zeit die Fundamente des aktuellen Architekturgeschehen Österreichs legten, als die meisten der heute aktiven Architekten noch nicht einmal geboren waren.
Auch die offiziellen Stellen der Stadt stellen sich taub, stumm, unwissend. Stadthallen-Aufsichtsrat und MA51-Chef Ferdinand Podkowicz weiß lediglich, dass das Haus einer, wie er meint, "optischen Aufbesserung" unterzogen wurde. Die Beurteilung der "optischen Aufbesserung" darf den Betrachtern der auf dieser Seite gezeigten Bilder überlassen werden. Roland Rainer äußert im ALBUM-Interview jedenfalls Bedenken grundlegender Art.
Roland Rainer: Wie man sieht, hat man in der Sprache aller architektonischer Details das Gegenteil dessen gemacht, was uns damals vorschwebte. Wir hatten sehr einfache Sessel, jetzt stehen dort samtgepolsterte Stühle in Pink und Altgold. Ich bedaure aber vor allem, dass der Umraum der Stadthalle stark verändert wird. Es gab einen Wettbewerb für die dort gerade errichteten Erweiterungen.