Der Legende nach sind dem Teufel, als er in grauer Vorzeit über jene Gefilde flog, auf denen heuer Europas Kulturhauptstadt prangt, zwei große Felsblocken entglitten: der heutige Schlossberg und der Kalvarienberg.

Es ist freilich nicht ganz auszuschließen, dass es dereinst einmal heißen könnte, auch das Kunsthaus und die Murinsel verdankten ihre Existenz den lahmen Klauen des Satans.

Ein anderer Kulturneubau wird allerdings ganz gewiss nie zu den Fundstücken im Weichbild der Kulturhauptstadt zählen: Gemeint ist die Helmut-List-Halle, die, aller offizieller Eventgeilheit entrückt, seit ihrer Eröffnung ihre Funktion als professionelles Veranstaltungsareal vorbildlich erfüllt und auch diesen Samstag wieder Schauplatz einer Uraufführung des diesjährigen steirischen herbstes ist, nämlich jener von Bernhard Langs Theater der Wiederholungen.

Doch die Freude an der Verlagerung wichtiger musiktheatralischer Ereignisse an das rechte Murufer ist freilich nicht ungetrübt. Denn was rechts zunimmt, nimmt links ab. Das heißt, dass es eigentlich keinen plausiblen Grund gibt, warum sich das Grazer Opernhaus schon seit geraumer Zeit als überregional geschätzter Ort musiktheatralischer Erstpräsentationen so nachhaltig abgemeldet hat.

Zumal gerade die Grazer Oper es war, die diese Stadt nach der ästhetischen Lähmung durch das kulturpolitisch weit über das Jahr 1945 währende 1000-jährige Reich der Gegenwart wieder angenähert hat.

So war die Grazer Oper schon Ende der 50er-Jahre die erste Musikbühne Europas, die zur hellen Empörung der alten Kunstnazis Wieland Wagners in Bayreuth vollzogene, bahnbrechende szenische Neuerungen wiederholte. Als Mittler fungierte der in Graz wirkende Dirigent Maximilian Kojetinsky, der in diesen Jahren auf dem Grünen Hügel als Studienleiter fungierte.

Und, als sich das offiziell etablierte Grazer Musikleben noch ausschließlich an Klassik und Romantik delektierte, erschienen Luigi Dallapiccolas damals revolutionäre Einakter Nachtflug und Der Gefangene schon auf dem Opernspielplan.

Ganz zu schweigen vom respektablen Beitrag, den die Grazer Oper in früheren Jahren zum steirischen herbst leistete. Ur- und Erstaufführungen unter anderem von Milhaud, Krenek, Ligeti, Prokofjew, Zykan, Eröd, Kagel, Cerha, Rihm, Haubenstock-Ramati und Kühr sind beredte Belege für den geistigen Belang dieses traditionsreichen Hauses.

Schade, dass die gestalterische Kompetenz der Grazer Oper nun zu jenem marginalen Ausmaß schrumpfte, wie es die zuständigen politischen Entscheidungsträger schon seit Jahren vorgeben.

Vielleicht hat der Teufel über Graz gar auch ein paar Politiker verloren. (DER STANDARD, Printausgabe vom 4./5.10.2003)