Der Irak-Waffenbericht von David Kay ist eine Beleidigung der Intelligenz eines jeden Menschen, der einigermaßen lesen kann. Anstatt seine Erkenntnisse nach dreimonatiger Waffensuche wissenschaftlich nüchtern und klar zu präsentieren, setzt er die ideologische Interpretation der Fakten fort, der die ganze Welt monatelang vor dem Irakkrieg bis zum Überdruss ausgesetzt war, präsentiert Binsenweisheiten, kombiniert weiter frisch drauflos gefährlich klingende Schlüsselwörter mit "könnte" und "vielleicht" und "geeignet für" - und erlaubt es dadurch seinem Herrn und Meister, Präsident George Bush, sich hinzustellen und selektiv und aus dem Zusammenhang gerissen das zu zitieren, was ihm noch einigermaßen ins Konzept passt.

Ein Kapitel in der zu schreibenden Geschichte des Irakkriegs wird - außer den willfährigen irakischen Informanten, den Geheimdienstlern und den Journalisten - den willfährigen Experten der amerikanischen Regierung gewidmet sein müssen. Für Kay geht es aber natürlich auch darum, die eigene Glaubwürdigkeit zu retten: Immerhin war er einer derjenigen, die vor dem Krieg ohne jede Konjunktivform über die irakischen Massenvernichtungswaffen geredet haben - er hat stets von ihrer "Existenz" gesprochen.

Als im April zwei Fahrzeuge gefunden wurden, die den von US-Außenminister Colin Powell am 5. Februar vor dem UNO-Sicherheitsrat beschriebenen "mobilen Labors" ähnlich schauten, sprach Kay von der "smoking gun". Im vorliegenden Bericht umschifft er die Gewissheit, die sich in der wissenschaftlichen Gemeinschaft längst durchgesetzt hatte - dass die irakische Version stimmte, dass die Anlagen für die Befüllung von Wetterballons gebraucht wurden -, indem er allumfassend sagt, "die Existenz eines Biowaffenprogramms konnte nicht erhärtet werden". Sehr elegant.

Chemiewaffenprogramm gibt es auch keines, ein nukleares sowieso nicht, nur jede Menge "Hinweise auf Intentionen", also nicht einmal Hinweise auf Programme. Grenzgenial ist der Satz: "Wir können noch nicht sagen, ob Waffen vor dem Krieg existiert haben oder nicht, und unsere einzige Aufgabe ist herauszufinden, wo sie hingekommen sind."

Aber Kay und seine Auftraggeber können natürlich auf die Wiedergabe der Erkenntnisse à la "stille Post" vertrauen, was manches im Bericht propagandistisch durchaus brauchbar machen wird, etwa den Fund einer Phiole mit einer Botulinum-Vorläufersubstanz, "aus der ein biologischer Erreger hergestellt werden kann". Man kann darauf wetten, dass in den nächsten Tagen irgendwo die Meldung auftaucht: "Hochgiftiges Botulinum im Irak gefunden.".

300 Millionen Dollar hat die ergebnislose Waffensuche eines Teams von einer Größe, von der die UNO und die IAEO (Internationale Atomenergiebehörde) im Winter 2002/2003 nur träumen konnten, bisher verschlungen, nun will die Bush-Administration weitere 600 hineinstecken, und Kay bettelt um Zeit: Vielleicht findet er ja dann noch zwei Phiolen à 300 Millionen. Aber Bush wird trotz aller zur Schau gestellten Selbstsicherheit das Scherzen im Moment eher vergangen sein, gemeinsam mit "Wilsongate" und der katastrophalen Lage im Irak ergibt das Waffendebakel einen gefährlichen Mix, der die Zustimmung zu seiner Administration weiter hinunterrutschen lassen wird.

Viel langfristiger und gefährlicher sind jedoch die internationalen Folgen. Obwohl es jeder vernünftige Mensch noch immer für möglich hält, dass auf dem Feld der Massenvernichtungswaffen im Irak irgendetwas auftaucht (wenn auch wahrscheinlich nichts militärisch Relevantes, aber diese Frage wurde ja nie zugelassen): Der Irakkrieg muss heute für einen Großteil der Menschen in aller Welt - und besonders in der Dritten Welt - wie ein riesiger Betrug aussehen. Wenn die USA künftig Aussagen über Länder treffen werden, die ihnen politisch nicht ins Konzept passen, wird der Fall Irak mitgedacht werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4./5.10.2003)