Brüssel/Wien - Zweifel an der EU-Erweiterung um zehn Länder
im Jahr 2004 äußert die renommierte Beratungsgesellschaft
Burson-Marsteller. Der Beitritt von zehn Staaten Mittelost- und
Südosteuropas im kommenden Jahr stelle "die zentralen
Errungenschaften der EU im politischen, wirtschaftlichen und sozialen
Bereich" infrage. "Es werden einige schwierige Jahre", wird ein
hochrangiger Kommissionsbeamter zitiert. "Es werden einige Staaten
aufgenommen, die noch nicht vorbereitet sind", sagte ein anderer.
Rückschritte befürchten Vertreter der Brüsseler Behörde vor allem im
Umwelt- und Sozialbereich. "Es gibt weiter Zweifel an der
Lebensfähigkeit dieses Projekts", heißt es in der jüngst in Brüssel
veröffentlichten Studie.
Wohlstandsgefälle
In der 28-seitigen Studie, die auf Grundlage von Interviews mit
mehr als 30 führenden Kommissionsbeamten erstellt wurde, wird vor
allem auf das riesige Wohlstandsgefälle zwischen alten und neuen
Mitgliedsstaaten verwiesen. So erreiche das Bruttoinlandsprodukt in
den neuen Mitgliedsstaaten nur zur Hälfte jenes der EU-15, während
die Arbeitslosenrate mit 15,1 Prozent in den Beitrittsländern mehr
als doppelt so hoch sei. Dazu komme die "massive und wachsende Kluft"
zwischen städtischen und ländlichen Gebieten in den Beitrittsländern.
Pessimistisch zur EU-Zukunft
Die Kommissionsbeamten äußern sich zum Teil pessimistisch zur
Zukunft der EU nach der Erweiterung, die erst einmal verdaut werden
müsse ("Es ist ein zehngängiges Menu", so ein Beamter). Befürchtet
werden Entscheidungsblockaden und sogar Rückschritte in einigen
Politikbereichen. Dies werde auch die neue EU-Verfassung, mit der die
Union effizienter gestaltet werden soll, nicht verhindern können. Als
Sorgenkind gilt insbesondere das größte Beitrittsland Polen ("ein
weiteres Spanien"). In der Brüsseler Behörde werden die Polen als
"extrem eigensinnig" und "sehr aggressiv beim Vertreten ihrer
nationalen Interessen" beschrieben. "Sie werden die größten
Nachzügler und die Streitsüchtigsten sein", so ein Beamter.
Verteilungskämpfe
Im Agrarbereich und bei den Regionalförderungen seien heftige
Verteilungskämpfe zwischen den EU-Nettozahlern sowie den bisherigen
und künftigen Nutznießern der EU-Subventionen zu erwarten. Skeptisch
wurde auch die Fähigkeit der zehn neuen Mitglieder bewertet, das
EU-Recht umzusetzen: "Wegen der Schwäche der Verwaltungen wird es
Verzögerungen geben", so ein Beamter. Die größten Probleme dürfte es
in dieser Hinsicht bei der Lebensmittelsicherheit geben. Hunderte von
Schlachthöfen und Fleischfabriken müssten zusperren, weil sie den
sanitären Vorschriften nicht entsprechen würden.
Reformstress für Neumitglieder
Zudem dürften die unter Reformstress stehenden Neumitglieder bei
der Vertiefung der europäischen Integration "ziemlich schnell die
Bremse ziehen". Die Kommissionsbeamten sehen vor allem die Gefahr von
Rückschritten in den Bereichen Umwelt und Arbeitsmarktpolitik. Ein
Beamter sprach sogar von einer "Blockade des sozialen Europa", da die
neuen Mitglieder nach dem Ende des Kommunismus stark auf
Wirtschaftsliberalismus gesetzt hätten. Im Umweltbereich gebe es
schon bei der Umsetzung des bestehenden EU-Rechts Probleme, wo sich
alle zehn Staaten mit Ausnahme Estlands Übergangsfristen erbeten
haben. Zudem sei keines der Neumitglieder "ein grünes Land".
Positive Auswirkungen dürfte die EU-Erweiterung dagegen in den
Bereichen Informationstechnologie und Telekommunikation sowie
Außenhandel haben. Wegen der hohen Internetdurchdringung in einigen
Beitrittsländern (Estland liegt vor 13 der 15 Mitgliedsstaaten)
erwarten sich Kommissionsbeamten eine "neue Dynamik im IT-Bereich".
Beim Außenhandel würde die Erweiterung das Gewicht der EU in
internationalen Verhandlung vergrößern. (APA)