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Das Fünf-Sterne-Hotel in Zhuhai war Schauplatz der "Orgie", die die Protestwelle in China ausgelöst hat.

Foto: Reuters
Von der Bühne, wo bis in den Abend ein japanisches Firmenjubiläum gefeiert worden war, riefen die Veranstalter als nächsten Programmpunkt ihrem Publikum den Preis der Mädchen zu. 1200 bis 1800 Yuan (200 Euro) kostete eine Nacht mit den Prostituierten, die in Bussen aus den Nachtklubs der südchinesischen Hafenstadt Zhuhai angekarrt wurden. Manche japanischen Kunden, von denen der jüngste 16 und der älteste 37 Jahre war, nahmen gleich mehrere Mädchen auf einmal auf ihre Zimmer in einem Fünfsternehotel. Die Stockwerke 13 bis 18 hatten die Japaner für sich gebucht. "Einige vergnügten sich bei offenen Türen."

So beschrieben empörte Augenzeugen in Chinas Jugendzeitung oder im Internet Vorgänge zwischen 380 japanischen Touristen und Geschäftsleuten und rund 500 chinesischen Sexarbeiterinnen. Pekings internationale Tageszeitung China Daily sprach am Montag von einem "massiven Sexskandal". Ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums kommentierte die Ereignisse als "abscheulich und gesetzwidrig". Er forderte die japanische Regierung auf, ihre Bürger zum Respekt vor den Gesetzen anderer Staaten zu erziehen.

Politische Schockwellen

Der Vorfall hat politische Schockwellen ausgelöst und verschärft Chinas tief sitzende Vorurteile gegenüber dem einstigen Erzfeind Japan, die noch so gute Wirtschaftskontakte bisher nicht überwinden konnten. Internetforen nannten die "Sexorgie" eine nationale Entwürdigung und reagierten mit nationalistisch eingefärbten antijapanischen Massenprotesten.

Erst vergangenen Monat hatte die Öffentlichkeit gegen ein noch immer tödliches Erbe aus Kriegszeiten protestiert. Am 4. August verseuchten sich 36 Bauarbeiter in Nordostchinas Qiqihaer an vergrabenen japanischen Giftgasbehältern aus dem Zweiten Weltkrieg. Einer starb an den chemischen Kampfstoffen.

Ort des jüngsten Anstoßes war am 16. und 17. September das Luxushotel "Zhuhai International Konferenzzentrum".

Symbolträchtiges Datum

Das Datum unmittelbar vor Chinas Gedenkfeiern zum Symboltag des 18. September, an dem 1931 Japan in Nordostchina einfiel, löste besondere Wut im Internet aus. Die Behörden schlossen am Sonntag das Luxushotel, um die Ereignisse aufklären zu können, und nahmen mehrere Personen in Haft. Der Vorfall war erst am Freitag über Dolmetscher und Hotelangestellte publik geworden. Berichte, wonach Japaner in der Hotelhalle auch noch ihre Nationalfahne hissen wollten und damit prahlten, "Chinas Mädchen zu vernaschen", erhitzten die Gemüter noch weiter.

Der Zorn Zehntausender richtete sich aber nicht nur gegen Tokio, sondern auch gegen die eigenen korrupten Behörden und das Hotel. Die offiziell verbotene Korruption ist heute zwar in China von Peking bis nach Lhasa allgegenwärtig verbreitet. Sie tritt aber selten so massiert wie jetzt in Zhuhai auf.

Informationen dürftig

Informationen über den Vorfall blieben dürftig. Japans Regierung reagierte zurückhaltend. Sie müsste die Berichte erst überprüfen, bevor sie sie kommentieren kann. Fast 60 Jahre nach Kriegsende reichen im belasteten Verhältnis zwischen Peking und Tokio wenige Reizbegriffe, um Chinas Internetgemeinde in Rage versetzen zu können. Mehr als 80.000 Teilnehmer verurteilten in einer virtuellen Resolution Japans Absicht, Peking seinen Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen zu verkaufen, und drohten mit einem Boykott japanischer Waren.

Nach dem Giftgas-Vorfall verdammten mehr als eine Millionen Chinesen "Japans unvergessene Verbrechen" im Internet. Und das außenpolitische Monatsmagazin Huanjiu (Globe) überschrieb im September seine Titelgeschichte über den Giftgasunfall mit der Zeile: "Warum wir Japan so hassen." (Johnny Erling aus Peking, Der Standard, Printausgabe, 3.092.003