Versteckspiel eines Ehemanns: Alain (François Morel) glaubt sich in Lucas Belvaux' "Un couple épatant" im Mittelpunkt einer Verschwörung.

Foto: Stadtkino

Eine Komödie, ein Thriller und ein Melodram: Der Belgier Lucas Belvaux hat drei Filme gedreht, die sich Ort, Zeit und Ensemble, aber nicht das Genre teilen. "Un couple épatant" eröffnet den Reigen mit einem boulevardesken Verwirrspiel.

Wien – Nebenfiguren stehen üblicherweise im Dienste des größeren filmischen Zusammenhangs: Sie wirken vom Rande auf das Zentrum ein, offenbaren dabei immer nur ein paar Facetten ihres Daseins – und welche Wege sie nach ihrem Auftritt beschreiten, bleibt ein Rätsel, das allenfalls die Fantasie des Zuschauers zu lösen vermag.

Der belgische Filmemacher Lucas Belvaux (Pour rire!) hat nun ein Triptychon entworfen, in dem mit dieser Norm spielerisch gebrochen wird: Als Hommage an die "kleinen Figuren" des Kinos angelegt, hat er gleich drei Filme inszeniert. Jeder für sich ist ein autonomes Werk, in einem anderen Genre angesiedelt. Aber jeder davon spielt auch zur gleichen Zeit, am selben Ort, der Stadt Grenoble, mit einem gemeinsamen Ensemble.

Die Hauptfiguren des einen Teils werden derart im anderen zu Nebenfiguren: eine Rochade, die jedes Mal neue Sichtweisen freilegt und in unterschiedliche Lebenswelten führt. Was nach einem narrativen Experiment klingt, das leicht formalistisch wirken kann, erweitert sich durch Belvaux' beharrlichen Fokus auf menschliche Verhaltensweisen zum klugen – und dabei überaus unterhaltsamen – (Stadt-)Panorama, das offen bleibt für soziale Realitäten.

Un couple épatant (Ein tolles Paar) eröffnet die Trilogie mit einer boulevardesken Verwechslungskomödie, wobei die Reihenfolge der einzelnen Teile nicht zwingend ist. Im Zentrum steht – wie in den anderen Filmen auch – ein Paar, hier der Anwalt Alain (Fran¸cois Morel), der sich für todkrank hält und diesen Umstand vor seiner Frau Cécile (Ornella Muti) unbedingt geheim halten will. Sein eigenwilliges Verhalten schürt allerdings ihr Misstrauen, sodass sie beschließt, ihn von einem Polizisten (Gilbert Melki) beschatten zu lassen.

Hypochondrie und Paranoia sind in Un couple épatant zwei Seiten einer Medaille. In beiden Fällen geht es darum, Zeichen zu viel Signifikanz beizumessen, Symptome also falsch zu deuten. Ein stechender Schmerz im Rücken kündigt für Alain bereits den nahen Tod an, das (arbiträre) Zusammentreffen zweier Bekannter lässt auf eine Verschwörung von ungeheuren Ausmaßen schließen.

Falsche Indizien

Belvaux überträgt dieses Prinzip in eine filmische Form, sodass darin Wahrnehmungsbilder – wie in einer Komödie von Ernst Lubitsch – permanent zu komischen Missinterpretationen führen. Was Alain und Cécile, wiewohl glücklich verheiratet, antreibt, ist wechselseitiges Misstrauen – in der Konsequenz versucht jeder von ihnen, mehr über den anderen zu erfahren. Aber dieser Einblick ist es, der nicht gelingt.

Wahrnehmungen werden eben durch Interesse gelenkt. Deshalb ahnt in Un couple épatant auch keine der Hauptfiguren, dass manche Nebenfigur in einem weitaus "gefährlicheren" Genre lebt. Cavale und Aprés la vie – die erst bei der diesjährigen Viennale zusehen sein werden – wechseln entsprechend Inszenierungsstil und Tonfall: In kurzen Momenten, die ein wenig mit dem Rhythmus brechen, kann man das bereits in der Komödie erahnen.

Da berichtet etwa der Polizist davon, dass seine Frau (Dominique Blanc) morphiumsüchtig sei. In Aprés la vie, dem abschließenden Melodram, wird dieses Verhältnis bestimmend. Belvaux arbeitet darin mit Großaufnahmen und Handkamera, während Cavale, einen düsteren Thriller, in dem er selbst einen flüchtigen linken Aktivisten mimt, Verfolgungsjagden und Gewaltausbrüche beherrschen.

Verbindungsstücke sind die Frauen, drei Lehrerinnen in der gleichen Schule: Ihre Bekanntschaft gewährt, dass die eine oder andere Szene in jedem Film wiederkommt. Es sind die merkwürdigsten – und mit die schönsten – Momente dieser Trilogie. Sie wirken vertraut, doch die Perspektive ist jedes Mal leicht verschoben, das Zentrum nicht länger auszumachen. (DER STANDARD, Printausgabe, 29. 9. 2003)