Foto: Polyfilm
Wien - Hoch oben im Forum Hotel am Berliner Alexanderplatz geraten sie sich in die Haare. Die Liebe zwischen Marie (Marie Bäumer) und Robert (André Hennicke) scheint am Endpunkt angelangt zu sein, schon länger, erfahren wir inmitten des wüsten Streits, hat das Paar keinen gemeinsamen Sex mehr.

Ein paar Szenen später sieht alles ein wenig anders aus: Die beiden tollen miteinander am Boden herum, stecken sich die Finger so tief in den Mund, bis es sie reckt, oder beschmieren sich gegenseitig mit Speichel. Kein Sex zwar, aber zumindest das regressive Spiel zweier Verliebter, das Vertrautheit voraussetzt.

Der alte Affe Angst, die neueste Arbeit von Oskar Roehler, ist ein Liebesfilm, der konventionelle Liebeschronologien missachtet. Immer schon näher am Melodram als an der Romanze erzählt er von der Leidenschaft eines Paares, dem Sex zum Problem wird. Denn Robert, Theaterautor und -regisseur, kann nur mit Prostituierten. Er will aber - und versucht es auch - mit Marie, die das Problem nicht wahrhaben will: Sie verführt ihn als Flittchen, verbindet ihm dabei die Augen, allein, die Fantasie springt nicht an.

"Is' nicht so schlimm", meinen sie dann und glauben doch das Gegenteil. Im Grunde ist es eine Allerweltsgeschichte, für die es gewiss jede Menge Beziehungsratgeber gibt. Roehler aber, spätestens seit Die Unberührbare einer der eigenwilligsten deutschen Regisseure, inszeniert, am Banalen wie am allzu Grüblerischen vorbei, ein Drama der unbedingten Liebe. Marie und Robert kämpfen wirklich um das, was sie verbindet. Sie zanken, sie kreischen, und irgendwann blödeln sie plötzlich wie zwei Kinder ganz befreit herum.

Solche Szenen dauern nie zu lange, und der Zuschauer muss stets eine gewisse Distanz wahren: In ihrem Hotelzimmer, auch später im leeren Loft wirken die beiden nämlich wie zwei Tiere in einem Glaskäfig, durch den man ihre manische Manöver aus Liebe studieren kann. Die Cinemascopeaufnahmen sind dabei starr und ungerührt - es wird keinerlei körperliche Umsetzung der Gefühle gesucht.

Dennoch gefällt es Röhler, Verhaltensweisen zu überzeichnen - sein TV-Film Fahr zur Hölle, Schwester, mit Iris Berben und Hannelore Elsner als sadistischen Schwestern, war dafür das drastischste Beispiel: Der alte Affe Angst sucht mit diesen Mitteln eher die Nähe zum Melodram, in dem Emotionen stets knapp davor sind überzuschwappen und bereits die Farben symbolhafte Wirkung haben - von vielleicht nur täuschendem Rosa sind hier die Bettlaken und die Blüten auf den Bäumen.

Neben der Liebe an sich handelt der Film, ganz offensichtlich und doch ein wenig versteckt, von der Angst vor ihrem Ende und Verlust: Schon ziemlich früh erkrankt darin Roberts Vater (Vadim Glowna), ein Schriftsteller, an Krebs. Letzte Konfrontationen zwischen den beiden sind vorsichtig zärtlich, aber folgenlos für das weitere Geschehen: Am meisten schmerzt den alten Mann, dass er seinen Roman nicht mehr beenden kann - der die Geschichte von Stanislav Lems Solaris nochmals erzählt. Anders als in Solaris gibt es in Der alte Affe Angst allerdings den Glauben an ein glückliches zweites Zusammentreffen der Liebenden.

Bei all seiner Bereitschaft, die Konfliktträchtigkeit moderner menschlicher Beziehungen nicht zu umgehen, glaubt Roehler daran, dass die Liebe aufs Neue entflammen kann - das gibt dem Film existenzielles Pathos. Marie und Robert müssen zwar erst durch die Hölle gehen. Dann darf sie sagen: "Ich habe dir doch mein Leben geschenkt!" Dann springt er auf ihr (natürlich rosafarbenes) Auto. Und dann gibt es sogar noch ein Happyend. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.9.2003)