Aber obwohl nun biologisch ja wohl alles klar ist, gibt es eine EU-Verordnung 1168/1999 zur Festlegung der "Vermarktung für Pflaumen". Das lässt Böses ahnen, und die Vorurteile werden dann auch nicht enttäuscht: drei Qualitätsklassen, oberste Kriterien sind Makellosigkeit im Erscheinungsbild (form-, entwicklungs-, farb- und hautfehlerfrei: Als wüsste nicht jedes Kind, dass die Früchte mit einem kleinen Sprung am Stängelansatz die allerbesten sind) und Größe (Mindestgrößenangaben in Millimeter), kein Wort von Geschmack oder Qualität der Sorte.
Analog dazu ist dann eben die Marktsituation, die kennen wir ja von Erdbeeren, Paradeisern und Marillen nur zu gut: Riesige, geschmacklose, namenlose Früchte (wo ist die Wangenheims Frühzwetschke?), die verzweifelnde Konsumentin jagt über den Markt, kauft da und dort ein Kilo - sie will ja eh nur einen Zwetschkenröster zum Mohneis machen - um ganz sicher zu gehen. Schwer beladen geht's nach Hause, nix ist's, nicht einmal eine Ahnung der seit der Kindheit verinnerlichten, unvergesslichen Geschmackssensation, und oftmals kommt zur Geschmacklosigkeit noch eine fortgeschrittene Oxidation (bräunliches Fruchtfleisch um den Kern), also überlagert und verdorben.
Die Hauszwetschke - klein und beschränkte Lagerfähigkeit - ist nicht marktkompatibel und wird daher selten angeboten, sondern vor allem für die Schnaps-
erzeugung verwendet, was für ein Jammer! Aber hin und wieder findet man sie doch auf dem Markt: gelblich, fest im Fruchtfleisch, saftig, süß-säuerlicher Charakter und umwerfendes Aroma; diese raren Glücksfälle wandern natürlich nicht in den Kochtopf, sondern werden gegessen, bis der Magen schmerzt.
Da gute Zwetschkenjahre heftig ausfallen und dieser Überfluss niemals ad hoc zum Deressen wäre, gibt es keinen Mangel an konservierenden Rezepten. Hierzulande ist das Trocknen eine traditionelle, jedoch ziemlich lieblose Operation. Aber in Frankreich, wo man den kulinarischen Dingen höchste Sorgfalt und Liebe entgegenbringt, wird in mühsamer Kleinarbeit die Königin der Dörrzwetschken, die Pruneau d'Agen, sozusagen manufakturiert, und sie erhebt sich majestätisch über die bei uns den Markt dominierenden schnöden industriellen kalifornischen Produkte. Die französischen Dörrzwetschken begleiten Fleischgänge, genauso übrigens wie die Essigzwetschken der Harrer-Mutter, die damit ein altes Familienrezept wiederbelebt hat: Zwetschken, in einer mit Nelken, Zimtstange, Lorbeer, Pfefferkörnern und Honig gewürzten Essig-Wassermischung eingerext. In Italien werden Zwetschken auch in 95-prozentigen Alkohol eingelegt und später solo oder mit Schlagobers oder Eis genossen, und als Rumtopfveteraninnen wissen wir: Diese Art von Dessert gibt Familienfesten den ganz besondern Kick.
Und dann werden sie natürlich eingekocht, die Zwetschken: als schnöde Marmelade oder aber als Powidl, bei dessen Produktion der Einsatz von Einkochhilfen wie dem segensreichen Gelierzucker ein Sakrileg darstellte, Zwetschke pur ist angesagt und fortwährendes Kochen und Rühren bis zur idealen Konsistenz. Die Haut bleibt drinnen, sich sanft kräuselnd gibt sie Powidl das ganz besondere Aroma und den kleinen Widerstand im Biss.
Der Powidl geht den österreichischen Weg, in die Mehlspeise, und diese Karriere lassen wir heute auch unsere Zwetschke antreten, als Zwetschkenfleck, der sich allerdings über die gängige Germteigunterlagenspezies erhebt. Dazu bedarf es der Mühen eines Blätterteiges, und nein!, diesmal kommt er nicht aus dem Kühl- oder Tiefkühlfach, wobei vielleicht noch ein paar Butterflankerl in das industrielle Margarinemachwerk hineingeschwindelt werden. Allerdings ist es ein Blitzblätterteig, also nicht die ganz strenge Schule der mille feuilles: 25 Deka glattes Mehl, 2,5 Gramm Salz, 3 Zentiliter Rum, ein Zentiliter kaltes Wasser und 25 Deka kalte, in grobe Würfel geschnittene Süßrahmbutter werden kurz durchgeknetet, sodass die Butterwürfel noch einigermaßen erhalten bleiben. Zuerst zwei einfache Touren (dreiteilig übereinander schlagen) arbeiten, dann zwei doppelte (vierteilig zusammenlegen). Gesegnet seien die Herbsttemperaturen, zur Marillenzeit wären Teig und Köchin ins Schwitzen geraten.