Die Fundamente unserer christlich-abendländischen Zivilisation wanken, dem islamischen Fundamentalismus wird Tür und Tor geöffnet. Warum? Weil das deutsche Bundesverfassungsgericht einer afghanischstämmigen deutschen Lehrerin das Tragen des Kopftuches während des Unterrichtes nicht verbot. Zuerst das Kruzifix aus dem Klassenzimmer verbannen und dann unsere Kinder den Muslimen ausliefern, so weit kommt’s noch, denken die Kopftuchgegner. Und sie denken sehr laut.

Doch bleiben wir bei den Fakten. Zwei Verfassungsgrundsätze mussten gegen einander abgewogen werden. Auf der einen Seite steht das verfassungsrechtliche Gebot der strikten Neutralität des Staates in weltanschaulichen Fragen (was zum Kruzifix-Urteil führte). Auf der anderen Seite steht das Grundrecht der Religionsfreiheit und der unbeschränkten Zulassung zu öffentlichen Ämtern unabhängig vom religiösen Bekenntnis.

Die deutschen Verfassungsrichter schätzten das persönliche Recht der Religionsfreiheit höher ein als das staatliche Neutralitätsgebot, Mensch geht vor Staat, so einfach ist das. Das nennt man freiheitlich-demokratische Grundordnung. Außerdem überließ es das Verfassungsgericht dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber, diese Rahmenbedingungen zu verändern.

Dass diese Debatte so hohe Wellen schlägt, verwundert heute. Vor wenigen Jahrzehnten war das Kopftuchtragen bei älteren Damen in unseren ländlichen Gegenden gang und gäbe. Und das soll nun eine Bedrohung sein? Nach diesem Denken würden sich Lehrer bald glatt rasieren müssen, hinter dem Vollbart könnte ja ein böser Fundi stecken. Die Lehrerin trägt ihr Kopftuch freiwillig, und keiner sollte ihr vorschreiben können, ob sie das tun darf oder nicht. Das ist Freiheit, so soll es bleiben.

KONTRA: Runter mit dem Schleier

Das Kopftuch hat in Schulen nichts verloren – weder an Lehrerinnen noch an Schülerinnen. Genauso wenig hat übrigens auch das christliche Kruzifix in Klassenzimmern zu suchen. Sie müssen religiös neutraler Boden sein. Das Kopftuch ist aber mehr als nur ein – selbst unter Muslimen höchst umstrittenes – religiöses Symbol. Es ist das Symbol schlechthin für die Unterdrückung von Frauen – im Namen des Islam. Es diskriminiert ausschließlich ein Geschlecht und missachtet damit Frauenrechte als universelle Menschenrechte. Das Stück Stoff hat die Unterjochung der Frauen im Islam organisiert. Dafür steht es – für nicht weniger.

Kopftuch, Schleier und Burka diskriminieren Frauen, indem sie sie an einer freien, selbständigen Teilhabe an der Welt hindern, sie vom öffentlichen Leben ausschließen und in Abhängigkeit von ihren Männer nötigen. Das Kopftuch – wenn es fehlt – ist aber auch der Grund für brutale Gewalt an Frauen. In Pariser Vororten gelten unverhüllte Mädchen als Freiwild. "Unreine", weil unverschleierte Mädchen werden in Gruppenvergewaltigungen "bestraft". Eine 17-jährige wurde verbrannt.

Genau deswegen ist es eine Provokation und Beleidigung aller Frauen, die zum Tragen des Kopftuches – oft unter Lebensgefahr – gezwungen werden, wenn eine Lehrerin in Deutschland für sich beansprucht, das Kopftuch in einer Schule tragen zu wollen. Wie würde die freiwillig verschleierte Lehrerin einem zwangsverschleierten Mädchen, das vor religiösem Terror von Vätern, Brüdern oder Nachbarn flüchtet, helfen?

Solange Frauen irgendwo auf der Welt gezwungen sind, aus Angst vor religiös fanatisierten Männern die Burka zu tragen, sollte sich jede aufgeklärte Muslimin selbst verbieten, das Kopftuch zu tragen – und wenn sie es nicht tut, dann eben der Staat. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.9.2003)