Markus Mittringer

Wien - Nun ist es auch schon wieder lange her, dass Hanne Darboven sich individuelle mathematische Prinzipien zurechtgelegt hat, um die Zeit zu fassen: Seit Ende der 60er-Jahre visualisiert sie deren Lauf, füllt in aller Disziplin Blätter mit Daten, aus denen sie eigenwillig formulierte Quersummen zieht, diese in Indizes zusammenfasst, als geometrische Zeichen oder auch Noten interpretiert, wiederholt, überlagert, spiegelt. Und mit historischen Inhalten, mit Text- oder Bildzitaten, Privatfotos und Zeichnungen konfrontiert, derart zu einer neuen Lektüre zusammenfasst: kommentarlos, ergebnislos, offen.

Ums Zählen geht es ihr, nicht um die Summe, ums Schreiben, nicht um Vermittlung. Dazu schreibt sie von Hand, vor allem verkettete "u"-Bögen, die mittlerweile riesige Bibliotheken füllen. Bibliotheken nach James Joyce, Bibliotheken einer Literatur der Unlesbarkeit (selbst wenn man sich den hoch anstrengenden Akt des Dechiffrierens, des Nachvollzugs des Darboven-Wegs zur Quersumme antut).

Hanne Darboven war mit dabei, Konzeptkunst zu entwickeln. Und praktiziert sie immer noch. Sol Lewitts oder Carl Andres Minimal Art war ihr zu wenig, das Unfassbare sollte doch an das konkrete, das unvermeidlich Persönliche, ans allgemein Historische geknüpft werden. Bei aller Obacht darauf, nichts vorzugeben, Interpretation und Perspektive nach allen Richtungen hin offen zu halten.

Bleibt, dass Hanne Darboven sich kulturgeschichtlichen Themen stellt. Und dass sie unendliche Regale voller Bücher produziert, Bücher ohne Botschaft, Bücher ohne Zahl und Resultat. Darbovens Aufschriebe können Dritten dazu dienen, den Akt der Konstruktion, des Buchmachens, des Zeitfesthaltens, des Sich-der-Existenz-Vergewisserns zu nähern - dem Wesen von Struktur.

Die Ausstellung im Museum moderner Kunst - eine Übernahme vom Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster - verweist erstmals derart massiv auf die zentrale Rolle des Buchs im Werk von Hanne Darboven.

Ein kommentiertes Werkverzeichnis, eine Art Anleitung zum Nachvollzug wird mitgeliefert: "Mit ,querschnitt' bezeichnet HD die Quersummierung eines Datums nach einem Prinzip, das sie seit 1968 praktiziert. Dabei behandelt sie zweistellige Zahlen der Tages- und Monatsangaben als Einheit, und die Jahreszahl wird in zwei Ziffern aufgespalten und separat addiert. Das Jahrhundert fällt weg. Der 29. April 1941 ist beispielsweise dementsprechend addiert als 29 + 4 + 4 + 1 = 38."

Wenn man das dann in die "Tagesrechnung" stellt und dabei die ausgewählten Verweise auf Georg Christoph Lichtenberg oder Picasso oder die "Urzeit/Uhrzeit" oder Rainer Maria Rilke beachtet, kommt man rasch auf ein Vieles. Und davon zurück wieder zu einer Hauptarbeit Darbovens: Ein Jahrhundert (Bücherei), 1970/71. Die ist seit 1979 in der Sammlung des Mumok und enthält potenziell schon all das, was jetzt an weiteren Aktenbergen zur Schau gestellt wird. Bis 23. 11.