Mercedes SSK, 1928

Im Grunde geht es um den Koffer. Davon merkt man am 7. September, an einem heiteren Vormittag im Pariser Park St. Cloud nicht viel. Zwar hat Louis Vuitton, französisches Synonym für luxuriöses Reisegepäck, eine Garde Prominenter und ausgewähltes Publikum hierher eingeladen. Aber kein Koffer weit und breit. Chow Yun Fat, Schauspieler aus Hongkong mit einem Fuß in Hollywood, tritt durch das Tor zum manikürten Park und verkündet vor eifrigen Journalisten, dass er Paris immer wieder faszinierend fände. Aber auch er ohne Koffer.

Stout Scarab, 1935

Stattdessen ist eine edle Kollektion an antiquierten Automobilen wie eine Perlenschnur im Schmuckladen für Auto-Fexe die Kieswege entlang aufgefädelt. Eine Perle schöner als die nächste. Eine eierschalenfarbene Alfa Giulietta aus dem Jahr '56, vom Studio Bertone für den amerikanischen Markt gemacht, die letztlich gegen das Pininfarina-Design keine Chance hatte, ein Thunderbird in Chrom und Schwarz, ebenfalls aus dem Jahr '56, aus dem einst Marilyns blonder Schopf wehte, ein bordeaux-farbener Ferrari aus dem Jahr '63 von Pininfarina, der - an Eleganz nicht zu überbieten - die Flundern, die vor Sylter Kneipen oder am Wörthersee Tamtam machen, vulgär aussehen lassen. Die Vorkriegs-Generation ist ebenfalls vertreten: ein cremefarbener Mercedes Benz SSK von 1928, ein Aston Martin von 1930, der schon in Le Mans seine Kreise zog.

Jaguar XKSS, 1956

Die Gäste schlendern gemächlich von einem automobilen Prachtstück zum nächsten. Brasilianische Journalistinnen drapieren sich auf Motorhauben wie Blüten, die prominente Bienen zum Interview anlocken. Französische Legenden wie Jeanne Moreau und Mireille Darc erscheinen, Louis Vuitton-Chef Yves Carcelle sowie Patrick Vuitton nebst Sohn. Aber immer noch kein Koffer. Wer Koffer macht, muss übers Reisen nachdenken. Das hat man bei Louis Vuitton in der Geschichte des Unternehmens ausführlich getan.

Alfa Romeo Giulietta Sprint, 1956

Das kleine Museum im Ursprungshaus in Asnière präsentiert den beachtlichen Ideenreichtum der Vuitton-Gründerväter. Natürlich sind die famosen Schrankkoffer ausgestellt, die den Stauraum-Gegenwert einer Zweizimmerwohnung haben, oder etwa als Minibüro ausgeführt sind. Für die Safari hat ein Vuitton in den 20er-Jahren sogar ein Gepäckstück ersonnen, das zum Bett mutiert. Vuitton hat sich jedoch nicht nur damit beschäftigt, die Fülle der Design-Möglichkeiten auszuloten, sondern sich auf die handfesten Aspekte eingelassen. Wie hoch, wie tief, wie breit darf ein Koffer sein, um unters Bett einer Schiffskabine zu passen. Oder in den Kofferraum eines Automobils.

Ford Thunderbird, 1956

Diese Aufgabe war im vergangenen Jahrhundert wesentlich anspruchsvoller. Kein Kofferraum war wie der andere. Die Stauraum-Normen sind eine jüngere Erfindung. Mit dem Entstehen der Normen verlor die Sonderanfertigung natürlich an Bedeutung. Natürlich werden sie immer noch gemacht. Die Kunden dafür lassen sich aber an wenigen Händen abzählen. Patrick, der "regierende" Vuitton, entwirft dann schon einmal einen Reisehumidor für ganz viele Zigarren, oder einen Flötenkoffer für einen berühmten Flötisten.

Ferrrari 250 GT/L, 1963

Weniger Bedarf an Kreativität auf der technischen Seite schlug mit erhöhter Kreativität auf der PR-Seite zu Buche. Vuitton stellt seine Beziehung zum Reisen in Gestalt zweier Events in den Vordergrund. Einer ist der Louis Vuitton-Segelcup, der zweite eben die Louis Vuitton Classic. Christian Philippsen, "Monsieur Automobile" bei Louis Vuitton lädt Besitzer außerordentlicher Oldtimer ein, ein Mal im Jahr ihre Kostbarkeiten hier auszustellen. Unter den Anwesenden werden Preise in neun Kategorien vergeben.

Die Jury besteht aus den wichtigen Köpfen der Automobil-Branche wie etwa Chris Bangle von BMW und Audi-Chefdesigner Walter de'Silva. Bewertet werden Authentizität, Fahrtüchtigkeit, Design und wenig handfeste Kriterien wie Charme. Ob die Preisträger mit mehr als der bei der Preisverkündung ausgehändigten Flasche Champagner nach Hause gehen, war nicht zu erfahren. Eine Ehrenrunde aller preisgekrönten Gefährte macht klar: Dies ist die langsamste Ralley der Welt, eher eine Misswahl als ein Motor-Event. Macht nichts. Denn eigentlich ging es ja um den Koffer. (Der Standard/rondo/B.L./19/9/2003)