Mit seinem überwältigenden Wahlsieg ist der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber endgültig aus dem Schatten seines Vorgängers und Mentors Franz Josef Strauß herausgetreten. Für einen so ehrgeizigen Politiker wie ihn gibt es nur noch eine einzige Herausforderung: noch einmal gegen Bundeskanzler Gerhard Schröder zu kandidieren und für die CSU die Führung der Regierung zu erobern.

Franz Josef Strauß hatte es ebenfalls probiert, aber nur einmal. Der Finanzminister und langjährige Ministerpräsident hatte in dieser Funktion 1980 versucht, die sozial-liberale Bonner Koalition auszuhebeln. Helmut Kohl hatte ihm damals - ein letztes Mal - den Vortritt gelassen. Es ging schief. Viel deutlicher freilich als beim schwarz-roten Duell des Jahres 2002, als Stoiber dem amtierenden Bundeskanzler nur ganz knapp unterlag.

Verständlich, dass aus Bayern Rufe kommen, man möge doch eine Frau zur Kandidatin für den Bundespräsidentenposten nominieren. Die CDU-Chefin Angela Merkel als erste Frau an der (repräsentativen) Spitze Deutschlands. Dies würde Stoiber bereits nächstes Jahr zum unangefochtenen Oppositionsführer machen. Er könnte früher als vor der letzten Wahl seine Ansprüche formulieren. Denn jetzt schon ist Stoiber mächtiger, als Strauß es war, unangefochtener auch - mit Ausnahme der Außenpolitik vielleicht, weil der De-facto-Chef des Airbus-Konsortiums bei den Staatschefs aus und ein ging. Der Strauß-Besuch bei Mao Zedong hatte international Schlagzeilen gemacht.

Stoiber ist wahrscheinlich genauso konservativ wie sein umstrittener Vorgänger. Aber er ist weniger kantig, weniger provokant. Er polarisiert nicht annähernd stark. Dadurch wirkt er wie ein Mann der Mitte, obwohl er es nicht ist. Dadurch erweckt er den Eindruck eines modernen Managers, obwohl der ehemalige Parteisekretär durch und durch ein Funktionär geblieben ist.

Die CSU selbst spielt diese Doppelrolle seit Jahrzehnten erfolgreich. Sie ist straff organisiert und gesellschaftspolitisch in klarer Opposition zur SPD. Aber sie hat gleichzeitig die Modernisierung Bayerns vorangetrieben. Slogans wie "Laptop und Lederhose" sind eine ziemlich präzise Beschreibung der CSU-Politik, die zum Unterschied von der ÖVP die Verkehrswege des Gehirns zur Priorität erklärt hat. Dadurch ist Bayern bei der Ausstattung von Schulen bis hinauf zur Forschungsförderung deutsche Spitze und im europäischen Kontext mit Finnland vergleichbar.

Stoiber ist andererseits nicht den neoliberalen Weg der schrankenlosen Privatisierung gegangen. Er ist kein Verfechter des total abgeschlankten Staates. Er misst ihm auch unternehmerische Kompetenzen zu - der Freistaat verfügt nach wie vor über umfangreiche Industriebeteiligungen und betreibt im Sinne einer Selbstversorgung für den Krisenfall einige Schlüsselbetriebe. Deshalb werden die zentralen Funktionen im Beamtenapparat fast ausnahmslos mit hoch Qualifizierten aus den Universitäten besetzt. Bayern steht Frankreich näher als Großbritannien.

Der triumphale Wahlsieg steigert den Einfluss der CSU in der Bundespolitik. Sie wird innerhalb des Gefüges der Opposition noch mehr mitbestimmen, und sie wird gegenüber der Regierung in Berlin noch mehr Härte zeigen. Vor allem auch in Fragen der inneren Sicherheit. Obwohl der sozialdemokratische Innenminister und ehemalige Grüne Otto Schily eine Politik betreibt, die seinen Wiener Kollegen Ernst Strasser in manchen Bereichen liberal aussehen lässt.

Zahlenmäßig so hohe Siege gibt es in Westeuropa selten - wenngleich die föderalistische Struktur auch in Österreich solche Ergebnisse zulässt. Die Traditionen des Landesfürstentums (in Bayern des "Kini") forcieren prägende Persönlichkeiten. Biedere politische Handwerker geraten ins Hintertreffen. Die bayerische SPD gewinnt deshalb nur in München, wo sie ebenfalls Figuren mit Charisma hervorbringt. (DER STANDARD/Printausgabe, 22.9.2003)