Wien - Auch Österreich setzt nach dem Scheitern der WTO-Konferenz in Cancun stärker auf bilaterale Aktivitäten. "Wer in Cancun war und die Stimmung erlebt hat, weiß, dass eine Fortsetzung der multilateralen Vereinbarungen unwahrscheinlich ist", so Wirtschafts- und Handelsminister Martin Bartenstein (V). Er habe mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bereits gesprochen, dass auch Österreich stärker den Weg bilateraler und regionaler Kooperationen gehen werde. Echte Freihandelabkommen sind seit dem EU-Beitritt Gemeinschaftsrecht, können also nur noch von Brüssel geschlossen werden.

Ein Abkommen zum Investitionsschutz wäre auch innerhalb der OECD denkbar, so der Wirtschaftsminister, allerdings "hängt uns hier das MAI noch nach". Die OECD hatte 1998 über ein multilaterales Investitionsschutzabkommen (MAI) verhandelt und das Projekt nach heftiger Kritik fallen lassen.

Dramatischer Anstieg

In den vergangenen 12 Jahren ist die Zahl der regionalen Abkommen weltweit dramatisch angestiegen, geht aus dem jüngsten WTO-Bericht hervor. Bei der WTO waren Ende 2002 insgesamt 259 regionale Handelsabkommen notifiziert, von denen 176 auch in Kraft waren. 70 weitere Abkommen sind bereits operativ aber noch nicht notifiziert, 70 werden derzeit verhandelt.

Hauptgrund für den starken Anstieg von bilateralen und regionalen Abkommen war der Zusammenbruch des COMECON. Von den 123 neuen regionalen Freihandelsabkommen, die seit 1990 abgeschlossen wurden, betrag ein Drittel Verträge zwischen Schwellenländern.

Verhandlungen

Die EU hat rund 30 Freihandelsabkommen, die jüngsten mit Mexiko, Chile, Südafrika und etlichen anderen afrikanischen Ländern sowie Staaten des Mittleren Ostens. Derzeit laufen Verhandlungen mit den AKP (Asien, Karibik, Pazifik)-Staaten und dem Mercosur. Anfang Oktober will die EU bilaterale Verhandlungen mit zwei Gruppen west- und zentralafrikanischer Staaten aufnehmen.

Lamy hat in seiner bisherigen Amtszeit mit Rücksicht auf den Ausgang der Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) auf bilaterale Abkommen verzichtet. Die laufenden Gespräche waren noch vor dem Amtsantritt Lamys vereinbart worden.

EU-Handelkommissar Pascal Lamy hat gestern erklärt, die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament müssten sich nach dem Scheitern der Ministerkonferenz fragen, ob die EU Alternativen wie den Abschluss bilateraler Abkommen vorrangig behandeln solle. Er ziehe die "Beibehaltung des multilateralen Ansatzes" weiter vor.

Der US-Handelsbeauftragte Bob Zoellick hatte ebenso wie der US-Handelsministers Donald Evans nach dem Abbruch der Verhandlungen in Cancun erklärt, die Liberalisierung des Welthandels über bilaterale Abkommen anzustreben. In Cancun haben die USA Vereinbarungen mit Chile und Singapur unterzeichnet. (APA)