Wien - Von den gut 2000 Konzerten, in denen Zubin Mehta seit dem Jahr 1961 am Dirigentenpult des Israel Philharmonic Orchestra stand, war jenes vom vergangenen Montag im Musikverein ganz gewiss nicht das Schlechteste. Ganz im Gegenteil, es wirkte sehr spontan und intensiv, wie der überaus umfängliche romantische Gefühls-, Assoziations-und Themenkatalog, den Gustav Mahler in seiner e-Moll-Symphonie vorgelegt hat, von den Gästen aus Israel gelesen und interpretiert wurde.

Dieser beinah an den Ulysses des James Joyce erinnernde labyrinthische Seelenroman, der sich in fünf Sätzen und zahllosen Zwischenkapiteln aus anfänglicher Traurigkeit zu manisch-ekstatischer finaler Euphorie entwickelt, ist nämlich ganz dazu angetan, nicht nur lang, sondern auch langatmig zu wirken.

Mahlers obsessiver Hang, Themen zu wiederholen, die ihrerseits wieder in Stimmung und Metrik äußerst ähnlich sind, aber auch die Unübersehbarkeit der kaleidoskopischen Bezüge, in die sie gesetzt sind, und vor allem die ausladende Breite des formalen Gesamtentwurfs sowie die sich aus diesem ergebende unterschiedliche Interpretierbarkeit machen eine in jeder Hinsicht stimmige Modellaufführung ohnedies von vornherein unmöglich.

Was an und mit dieser Symphonie gelingen kann, sind bestenfalls Varianten der Annäherung. Deren Faszination hängt nicht allein vom technischen Rang der Wiedergabe ab, sondern vor allem auch davon, was nun den Charakter der Wiedergabe bestimmt: die emotionale Beteiligung oder zerebrale Kontrolliertheit oder gar, was der Idealfall wäre, das anhaltende Gleichgewicht zwischen den beiden.

Wollte man den Ort definieren, aus dem Mahlers siebente Symphonie am Montag entsprang, könnte man sagen, er lag, wo es in der Musik gut zu sein ist - zwischen Herz und Sonnengeflecht. Die mehr als 40-jährige Zusammenarbeit zwischen Zubin Mehta und diesem Orchester haben zu einer beinah zwillingshaften künstlerischen Gefühlsgemeinschaft geführt.

In dieser streifen sie durch die Mahler-Gefilde, so erlebnisbereit, als wär's zum allerersten Mal. Und gestützt auf die an allen Pulten hörbar herrschende technische Souveränität vermögen sie ihre Eindrücke dem Publikum auch mit stets angemessenem Niveau berührend unmittelbar zu vermitteln.

Das Ergebnis war entsprechend. Das Publikum hat den Romantik-Marathon nicht nur gut überstanden, sondern für diesen auch mit anhaltendem Jubel gedankt. (DER STANDARD; Printausgabe, 17.09.2003)